Das Pop-Freaks-Festival in Stuttgart zeigt Popmusik in Zeiten der Konsolidierung. Aber was sagt es uns, dass der beste Act des Festivals aus Herxheim kommt?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - In Zeiten global angepasster Pop-Bespaßung ist es ja schon schön, wenn man bei einem Konzert überhaupt noch weiß, in welcher Stadt man sich befindet. Bei dem Auftritt der Kölner Band Locas in Love im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin ist das spätestens in dem Moment der Fall, als einer der Zuhörer zwischen zwei Songs ruft, das alles hier sei „net schlecht“. Dass der Sänger Björn Sonnenberg das erst beim dritten Nachfragen versteht, macht den Moment nur noch toller. Ja, man ist hier bei einem Festival für hörens- und entdeckenswerte Popmusik. Aber der deutsche Popföderalismus fügt der musikalischen noch mindestens eine weitere Bedeutungsebene hinzu: die der regionalen Spielarten. Immer noch.

 

Schon 2015 war das so, als zwischen den Songs von Gisbert zu Knyphausen und Der Nino aus Wien, obschon musikalisch ähnlich, Welten zu liegen schienen. Gar noch schöner ist, dass der Kurator Arne Hübner, der immer nur beim Pop Freaks Konzerte bucht, wieder eine Vielfalt der auch musikalischen Zungenschläge nach Stuttgart geholt hat: unter anderem aus Bielefeld und Wien, Berlin und Herxheim. Wobei Drangsal aus Herxheim den internationalsten Sound aller Pop-Freaks-Acts hatten. Andere präsentierten eher Spielarten einer dezidiert deutschen Popmusik: Locas in Love mit ihren Variationen über gitarrendominierten Songwriter-Pop, Mary Ocher mit ihrem leicht schrägen Vortrag inklusive zweier Schlagzeuger, A Tribe Called Knarf mit einem nur oberflächlich unzugänglichen Diskurspop. Selbst Fraktus gehen problemlos als „typisch deutsche“ Band durch, mit ihrer Albernheit und den Kraftwerk-Anspielungen.

In dieser Vielfalt fällt auf, dass zumindest dieser bislang nicht in großen Hallen gespielte Pop sich aktuell in einer Art Konsolidierungsphase befindet. Acts wie Pollyester klingen frisch, erfinden aber nichts neu. Jochen Distelmeyer beschränkt sich aufs (hochwertige) Covern und bei Fenster stechen eher die Stimmen heraus als das Songwriting oder der Gesamtsound. Die faszinierendsten Acts des Pop-Freaks-Festivals 2016 waren, so gesehen, Drangsal und Das Trojanische Pferd. Der Erstgenannte sieht die Achtziger völlig ungeniert als Selbstbedienungsladen (und dreht ein Video mit Jenny Elvers), die Wiener Band wiederum fesselt mit Songs, die immer genau da abbiegen, wo man es nicht erwarten würde.

Nächstes Jahr dann das Jubiläum

"Es ist selten so gut aufgegangen", sagt Arne Hübner zum Pop Freaks 2016. Er meint das Line-Up, die Besucherzahlen "und auch die Gäste an sich. Die vielen Gespräche während der Konzerte sind ja immer noch ein Thema." Auf das Line-Up des von ihm kuratierten Festivals angesprochen, gibt Hübner zu, dass der Fokus früher noch ein Stück konsequenter darauf lag, noch gänzlich unentdeckte Acts ins Merlin zu holen. "Wenn man die Chance hat, Distelmeyer zu kriegen, dann lässt man sich das nicht nehmen", sagt Hübner. Ihm gehe es mehr "um das Spannungsfeld zwischen Pop und Freak. Das können alte Hasen oder junge Hüpfer sein."

Vom Pop Freaks 2016 bleiben dem Kurator beispielsweise Mary Ocher und ihre beiden seitlich positionierten Schlagzeuger im Gedächtnis. "Und bei Drangsal wird man sich auch mal daran erinnern, dass sie einst im Merlin gespielt haben", so Hübner. 2017 steht das zehnjährige Jubiläum an. Dann werden - wie dieses Jahr zum ersten Mal - vor und nach den Konzerten wieder Freunde des Merlin im Café Platten auflegen; diese Neuerung kam bestens an. Darf man beim zehnten Pop-Freaks-Festival dann eine Art Best-of der bisherigen Ausgaben erwarten? "Mal schauen, was davon klappt", sagt Arne Hübner zwinkernd. 

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