Seit vielen Jahrzehnten legt der Plakatkünstler Klaus Staeck immer wieder den Finger in die Wunden der Gesellschaft. Ironie und Angriffslust gehören zum Werkzeugkasten des selbst ernannten Verteidigers der Demokratie.

Heidelberg - Klaus Staecks Botschaften sind zeitlos, seine Themen seit Jahren in der Diskussion - Wohnungslosigkeit, Klimawandel, Menschenrechtsverletzungen. Der 83-jährige Künstler aus Heidelberg weist mit seinen Fotomontagen weit über die Tagesaktualität hinaus. Da ist ein Plakat aus dem Jahr 1983 mit dem im Universum schwebenden blauen Planeten. Darunter ist zu lesen: „Die Mietsache ist schonend zu behandeln und im guten Zustand zurückzugeben.“ Der Appell an alle Mieter der Erde gilt heute wie damals. Staecks Credo: „Nichts ist erledigt.“

 

Einer Kohlezeichnung der ausgezehrten Mutter von Albrecht Dürer verleiht er 1971 neue Bedeutung: Anlässlich der Feierlichkeiten zum Geburtstag des Malers (1471-1528) und des zeitgleichen Kongresses des Grundbesitzervereins in Nürnberg plakatiert er das Motiv in der ganzen Stadt. Der Clou: Er verbindet die Zeichnung mit der Frage „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“ 50 Jahre später ist der Engpass für bezahlbaren Wohnraum noch immer eine drängendes Problem. Auch die Pandemie fehlt in Staecks Werk nicht: Auf Basis eines beängstigenden Gemäldes von Hieronymus Bosch ist ein Höllenschlund dargestellt, auf den ein überdimensionales Coronavirus zuschwebt. „Das ist unsere Situation im Augenblick“, erläutert der mit seiner Liebe aus der Studentenzeit verheiratete Künstler.

Kraft der Bilder

Staeck setzt auf die Ausdrucksfähigkeit von Bildern. „Sie haben größere Kraft als Texte und können mehr ausrichten im positiven wie im negativen Sinn.“ Seine Fotomontagen sind nie l’art pour l’art, immer Auseinandersetzung mit der Realität, stets riskant - sei es dass er sich mit Firmenbossen wegen Waffenexporten anlegt oder mit dem Springerverlag. An der CDU hat der Sozialdemokrat sich Zeit seines Lebens abgearbeitet: Mit einer Ausstellung in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft löste er den „Bonner Bildersturm“ aus. Bei der Eröffnung im März 1976 rissen Abgeordnete der Unionsfraktion drei Plakate von den Wänden, auf denen Staeck die verharmlosende Reaktion der CDU auf den Militärputsch in Chile kritisierte.

Seine Zuspitzung hat ihm über 40, zum Teil sehr kostspielige Verfahren eingebracht, vor allem wegen Verleumdung - keines hat er nach eigenen Worten verloren. „Die Gerichte im Deutschland legen die Meinungsfreiheit sehr großzügig aus“, meint er. Bei den Prozessen kam ihm zugute, dass er nicht nur Grafiker ist, sondern auch in Heidelberg Jura studiert hatte. Mit diesen Qualifikationen ist er in seiner Familie ein absolutes Unikum. „Ich war der erste meiner Familie mit Abitur und Studium“, sagt der Sohn der Inhaberin eines Souvenirladens und eines Offiziers.

Verteidiger der Demokratie

Die Eltern hätten sich nicht träumen lassen, dass ihr 1956 aus der DDR geflohener Sohn eine glänzende Karriere macht und an die Spitze der Akademie der Künste in Berlin gelangt. Von 2006 bis 2015 leitete er die renommierte Institution und unterstützte verfolgte Künstler wie den regimekritischen Chinesen Ai Weiwei und den von einem Islamisten angegriffenen dänischen Karikaturisten von Mohamed-Darstellungen, Kurt Westergaard, der kürzlich starb. Als seine „Säulenheilige“ nennt Staeck den Aktionskünstler Joseph Beuys, den Schriftsteller Heinrich Böll und den Soziologen Oskar Negt.

Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel würdigt die Verdienste ihres Vorgängers. „Er trug dazu bei, die Akademie zu einem Ort öffentlichen Nachdenkens und streitbarer Auseinandersetzung über Kunst und gesellschaftliche Belange zu machen.“ Sie sei unter Staecks Führung ein Ort geworden, an dem demokratische Grundlagen verteidigt und an die damit verbundene Verantwortung erinnert wird.

Muss Kunst politisch sein? „Kunst muss gar nichts, sie kann“, meint Staeck. „Für mich ist sie ein Mittel der Aufklärung.“ Als anerkannter politischer Flüchtling aus der DDR betrachtet er es als seine Hauptaufgabe, für Demokratie einzutreten. „Sie ist verletzlich und braucht Verteidiger.“ Als Gefahr für die Demokratie sieht er ungerechte Vermögensverteilung oder Bereicherung von Online-Versandhändlern wie Amazon, die kaum Steuern zahlen.

Er war einmal Mitglied einer Gang

Die Zahl von Staecks Auszeichnungen ist groß und reicht vom 1. Zille-Preis für sozialkritische Grafik (1970) bis zum Max-Pechstein-Ehrenpreis der Stadt Zwickau (2011). Mehr als 60 Ausstellungen machten Staeck von Israel bis Istanbul bekannt.

Seine Kindheit im Kleinbürgertum hat den in Pulsnitz bei Dresden geborenen und in Bitterfeld aufgewachsenen Mann geprägt. „Ich habe einen Gerechtigkeitsfimmel.“ Er war Gang-Mitglied und hat Schmiere gestanden, während seine Kumpane Züge ausraubten. Zu den Starken gehörte er nie – körperlich. Er sei so „spillerig“ gewesen, dass ein Arzt ihn gar für nicht überlebensfähig hielt. „Das hat mich tief erschrocken.“ Trost fand der Junge in den Worten eines von der Mutter konsultierten Pfarrers: „Die dürren Körper währen am längsten.“ Sieht man den schlanken blonden über 80-Jährigen, kann man dem Geistlichen nur Recht geben.