Carl Fechner dokumentiert nicht nur Missstände, er sucht nach Lösungen. Seine Filme werden weltweit gefeiert. Doch mit seinem rastlosen Kampf gegen die Umweltzerstörung setzt sich auch dem Vorwurf des Aktionismus aus.

Immendingen - Da ist dieses große Foto an der Wand, das eine Szene aus seinem Berufsleben zeigt. Carl-A. Fechner kniet, umgeben von einigen Männern, auf einem staubigen Wüstenboden. Das Bild ist in einem Zelt aufgenommen worden, irgendwo im Nahen Osten. Man erkennt das gleich, auch wenn die Männer neben Fechner keine Einheimischen sind, sondern der Erscheinung nach Westeuropäer. Was hat es mit diesem Bild für eine Bewandtnis? Warum hat Fechner ausgerechnet dieses Foto in seinem Büro aufgehängt? Er hätte so viele andere Bilder nehmen können. Von allen Ecken und Enden der Welt, wo er mitten im Geschehen war. Schon längst hätte er die alte Erinnerung durch eine andere ersetzen können. Fechner aber hängt offenbar daran.

 

Aufgenommen wurde das Foto Ende 1990, kurz nach dem Beginn des Ersten Irakkriegs. An der Grenze von Irak und Kuwait haben Friedensaktivisten ein Camp an der Frontlinie errichtet, um als lebendige Schutzschilde die Kämpfer aufzuhalten. Fechner hatte von diesen Verrückten gehört und besuchte sie. Er war der einzige Journalist, der über die Aktion der furchtlosen Pazifisten berichtete. Den Krieg verhindert haben sie nicht. Aber Fechner erregte mit seinem Exklusivbeitrag weltweit Aufsehen. Der freie Filmemacher wurde zum Auslandskorrespondenten der ARD befördert mit Sitz in Damaskus. Ein Job, der Abwechslung und üppige Bezüge in einem quasi beamteten System verspricht. Und später eine gute Pension. Er hätte es also fortan ruhiger angehen können.

Aber so tickt Carl-A. Fechner nicht. Als er in Damaskus ankommt, ist er 37 und noch keine drei Jahre als Filmemacher unterwegs. Er ist der Sohn eines Sägewerksbesitzers aus Ostpreußen, der der Wehrmacht und der Bundeswehr als Offizier gedient hat. Auch Carl-A. Fechner verpflichtet sich für zwölf Jahre dem Militär – in Immendingen, Kreis Tuttlingen. Mit 26 ist er Kompanieführer, mit 30 Hauptmann. Nebenher studiert er Medienpädagogik. Nach 14 Jahren quittiert er den Dienst an der Waffe. Da ist er schon längst kein Vorzeigesoldat mehr, sondern ein Rebell in der Bundeswehr. Fechner gehört der Friedensbewegung an. Offen hatte er Zweifel an der Nato-Politik geäußert, war dem Darmstädter Signal beigetreten, einer Gruppe von Offizieren und Unteroffizieren, die die Abschreckung mit Massenvernichtungswaffen ablehnen. Im Jahr 1983, als die Nato ihren Doppelbeschluss fasst, will er Tuttlingen zur atomwaffenfreien Zone erklären lassen.

1987 scheidet Fechner aus dem Wehrdienst aus

Die Medien beginnen, über ihn zu berichten. Zusammen mit anderen kritischen Soldaten gibt er dem „Spiegel“ ein viel beachtetes Interview, in dem er seine Haltung verdeutlicht und auf das Recht des Soldaten auf freie Meinungsäußerung besteht. Als kurz darauf 20 seiner Rekruten ihr Gelöbnis zur „persönlichen Gewissensentscheidung“ erklären und sich nur daran gebunden fühlen, wenn die Bundesrepublik und ihre Verbündeten auf den Einsatz atomarer, biologischer und chemischer Waffen verzichten, ist für die Vorgesetzten auf der Bonner Hardthöhe das Maß voll: Sie gehen davon aus, dass Fechner die Soldaten dazu angestachelt hat. Obwohl dem aufmüpfigen Offizier keine Mitwirkung an der Aktion nachgewiesen werden kann, wird er nach Ulm versetzt – auf höchsten Befehl, wie es damals heißt. Am 2. Juli 1987 scheidet Fechner schließlich aus dem Wehrdienst aus. Schon am Tag darauf lässt er sich mit anderen Blockierern an der Zufahrt zu dem Raketendepot der amerikanischen Armee in Mutlangen wegtragen.

Carl-A. Fechner will jetzt Filme machen. Mit kleinen Werbe- und Unterrichtsbeiträgen fängt er an. Das Foto an der Wand markiert den Punkt, als Fechner aufhört, nur ein Journalist zu sein. Es ist der Moment, in dem er damit beginnt, die Welt zu retten. So sieht er es zumindest selbst und meint das ganz ernst.

Ein Jahr arbeitet er noch für die ARD, dokumentiert den Golfkrieg im Irak und die Zeit danach. Dann schmeißt er den sicheren Job hin. Vor seinen Augen sind Menschen gestorben. Er fragt sich: Was hat es für einen Sinn, die Zustände lediglich zu beschreiben? Fechner will mehr, es geht ihm darum, Wege aus dem Dilemma aufzuzeigen. Mit einer engagierten Berichterstattung, einem Journalismus, der über die bloße Deskription hinausgeht. „Man muss die Menschen nicht mit ihrem Drama alleine lassen“, sagt er. Das Leben mag ein Jammertal sein – Fechner bleibt der ewige Optimist. So wie Voltaire, der beschlossen hat, glücklich zu sein, weil es der Gesundheit dient, hat er für sich entschieden, in der bösen Welt stets dem Guten seinen Platz einzuräumen.

Ein Regisseur, der nach Auswegen sucht

Krieg, Armut, Hunger? Fechner fragt: Was kann die Politik dagegen tun? Smog in den Städten? Fechner forscht nach, unter welchen Umständen die Elektromobilität besser vorankäme. Das Klima erwärmt sich? Fechner beleuchtet, wie schnell Kohlekraftwerke durch neue Energien aus Sonne, Wind und Wasser ersetzt werden könnten. Er zeichnet keine Weltuntergangsszenarien, sondern sucht nach Auswegen. So tickt Fechner. „Fechner-Filme gehen immer gut aus“, sagt er. Und: „Ich habe ein Herz für Lösungen.“

Seit 25 Jahren besteht seine Firma Fechner-Media nun schon. Etwa hundert Filme hat er mit seinen Leuten seither gedreht – Dokumentationen, Reportagen, Magazinbeiträge für die ARD, Arte und das ZDF. Er arbeitet auch für Pro Sieben oder Vox. Dazu kommen Medienkampagnen, Porträts und Präsentationen von Unternehmen – am liebsten von solchen, die nachhaltig handeln. An die zehn Produktionen sind es jedes Jahr, die Fechner mit seinem Team von einem Dutzend Mitarbeitern stemmt. Dokumentarfilmer, Cutter, Techniker beschäftigt er, aber auch Pädagogen und Psychologen. Alles aus Immendingen heraus, dem Ort ist er treu geblieben.

In „Solarzeit – Von der Einfachheit des Machbaren“ zeigt Fechner bereits 1992 an Beispielen aus dem täglichen Leben, „dass die Umstellung auf Solarenergie machbar und der Weg in die Klimakatastrophe abwendbar ist“. Er macht Filme über Wirtschaftsspionage („Dirty Tricks“, 1992), die Wegwerfgesellschaft („Gesucht wird: Das Müllmilliardengeschäft“, 1994), Naturkatastrophen („Die Jahrhundertflut: Die Oder – Jammer oder Chance“, 1997) und immer wieder zur Bundeswehr („Die Abrüster – Unterwegs mit den Soldaten der Zukunft“, 1994). Bestimmend für seine Arbeit werden der Protest gegen die Kernkraft und die umweltzerstörerische Energiegewinnung aus Erdöl und Erdgas. Jede Menge Preise bekommt Carl-A. Fechner für seine Arbeit. Die Liste der Auszeichnungen liest sich fast so lang wie seine Filmografie. Im Jahr 2010 produziert er seinen ersten Kinofilm, er heißt „Die 4. Revolution“. Es geht um die Energiewende als globales Projekt, das Fechner in technisch schönen Hochglanzbildern erzählt. Bianca Jagger kommt drin vor. Die Hauptperson aber ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises und Vordenker für die neuen Energieformen. Ein halbes Jahr vor Scheers unerwartetem Tod wird der Film fertig. Heute gilt er als Manifestation von Scheers visionärem Denken.

Der teils mit den Mitteln von Crowdfunding finanzierte Streifen wird nach Fechner zum erfolgreichsten Dokumentarfilm des Jahres 2010. Er erreicht mehr als sieben Millionen Zuschauer in mehr als 30 Ländern, wird mehrfach im Fernsehen ausgestrahlt, gewinnt Preise und wird weltweit auf 70 Festivals gezeigt. Fechner mutet sich rund hundert Auftritte in 15 Ländern zu, allein in Japan zeigt er „Die 4. Revolution“ in gut 50 Städten, darunter in Fukushima. Einmal gibt er 23 Interviews an einem Tag.

„Ein deutsches Energiemärchen“

Carl-A. Fechner will nun alle zwei Jahre einen Kinofilm herausbringen. In „Change! Ein deutsches Energiemärchen“ soll am Beispiel des Hohenlohekreises gezeigt werden, was in der Provinz an Energiewende möglich wäre. Gedreht wird im Nordosten Württembergs und in anderen Städten Deutschlands sowie in Fukushima. Vor Ort gründet sich ein Förderverein des Projekts, der mehr als die Hälfte des Budgets von 700 000 Euro sammelt. Ein Konsortium aus süddeutschen Stadtwerken finanziert das Drehbuch.

Mit solchen Formen des Sponsorings hat Carl A. Fechner überhaupt kein Problem. Die Zuschauer werden so zu Aktivisten. Sie sollen spenden, so wie für die Initiative „Planet for the Planet“. Zehn Milliarden Bäume seien auf diese Weise „der Erde geschenkt worden“, sagt Fechner. Im Jahr 2011 widmet er dieser weltweiten Bewegung von Kindern und Jugendlichen einen Film: „Weil ich länger lebe als du“. In „Passion for Planet“, der 2015 fertig sein soll, will der Filmemacher fünf weltweit bekannte Tierfilmer bei ihrer Arbeit beobachten und „die faszinierende Transformation von unschuldigen Naturliebhabern zu entschlossenen Kämpfern“ beschreiben.

Kritiker werfen Carl-A. Fechner vor, er habe sich vom Dokumentarfilm längst verabschiedet und mache stattdessen – ähnlich wie Umweltorganisationen – Propagandakampagnen für die gute Sache. Er stelle Gegenpositionen kaum dar, räume Andersdenkenden in seinen Filmen bestenfalls einen Alibiplatz ein – in „Die 4. Revolution“ etwa in Gestalt des Chefökonomen der Erdöl exportierenden Länder (OPEC). Als weiteres Indiz für seine Einseitigkeit wird angeführt, dass der Film von einem Unternehmer aus dem Bereich der erneuerbaren Energien mitfinanziert wurde. Fechner macht kein Geheimnis daraus, dass er mit seinen Filmen seine Standpunkte untermauern will.

Kürzlich ist er 60 Jahre alt geworden. An seinem Geburtstag fuhr er mit seiner Familie nach Berlin, um gegen die Atomkraft zu demonstrieren. Er ist überzeugt, „die Umstellung auf ein dezentrales, gerechtes System der Energieversorgung bis zum Jahr 2030 ist möglich“. Er will das noch erleben. Er wäre dann 77 Jahre alt. Fechner sagt: „Es ist keine Frage, dass ich das schaffe.“