Seit Wochen gibt es in Stuttgart-Rohr Verzögerungen bei der Postzustellung. Ein Bürger droht nun mit Schadenersatzforderungen. Die Post bestätigt, dass es Probleme gibt – und zwar nicht nur in Rohr.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Christof Blauß ist ungehalten. Seit Wochen gebe es in Rohr Probleme bei der Postzustellung, sagt der Rechtsanwalt. Nicht nur bei ihm an der Thingstraße, sondern auch bei seinen Nachbarn sei der Briefkasten oft mehrere Tage lang leer. „Es ist eine Katastrophe. Wichtige Sendungen kommen nicht rechtzeitig an“, sagt Christof Blauß. Bei seinen Bekannten seien es zum Beispiel Theaterkarten gewesen, die schon vor Wochen bestellt worden seien. Der Rohrer Bürger hat bereits Briefträger darauf angesprochen. „Die wissen um die Schwierigkeiten. Aber sie dürfen nichts sagen.“

 

In der Tat ist der Sachverhalt auch bei der zentralen Pressestelle der Deutschen Post in München bestens bekannt. „Leider müssen wir Probleme, vor allem in der Briefzustellung, in Baden-Württemberg einräumen“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Der Grund dafür seien in erster Linie Personalausfälle wegen Corona. Diese könnten aufgrund der sehr angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt nur begrenzt durch die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte kompensiert werden.

Mancherorts greift das Corona-Notfallkonzept

„Um Zustellausfälle über mehrere Tage zu vermeiden, wenden wir an Standorten mit besonders hohen Personalausfällen das Corona-Notfallkonzept an“, schreibt die Pressestelle. Das bedeute unter anderem, dass die Post prinzipiell nur jeden zweiten Tag zugestellt werde. So sollen Ausfälle über einen längeren Zeitraum hinweg verhindert werden. Dieses Konzept werde so lange angewendet, bis das Personalproblem behoben sei. Abhängig sei das vom Infektionsgeschehen und dem Erfolg bei der Personalrekrutierung, teilt die Pressestelle mit.

Die Gewinnung neuer Arbeitskräfte ist ein Thema, das die Post umtreibt. „Wir stellen derzeit 3000 Leute pro Monat ein und haben seit Juli 10 000 Entfristungen vorgenommen; dennoch suchen wir weiter auf allen Kanälen nach zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, so das Unternehmen. Bereits vor einigen Monaten hätten umfangreiche Rekrutierungsmaßnahmen begonnen, darunter die bundesweite Kampagne „werde-eine:r-von-uns.de“. Die Post betont die guten Arbeitsbedingungen und Löhne. „Unsere Brief- und Paketzusteller, denen wir sichere, tarifgebundene Arbeitsplätze bei einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden bieten, verdienen zwischen 2400 und 3090 Euro brutto pro Monat.“ Hinzu kämen Urlaubsgeld, ein 13. Monatsgehalt und regionale Zulagen.

Das Beschwerdeaufkommen ist derzeit besonders hoch

Die Unzufriedenheit unter den Post-Kunden ist derzeit besonders hoch. Immer mehr wenden sich an die Bundesnetzagentur, weil Briefe viel zu spät oder gar nicht ankommen, berichtet die Deutsche Presseagentur (dpa). Im Oktober seien rund 9700 Beschwerden eingegangen und damit fast doppelt so viele wie im September, als es 5000 Beschwerden waren. Im bisherigen Jahresverlauf seien es schon mehr als 30 000 Meldungen gewesen. Auch das sei eine Verdopplung, denn 2021 seien es insgesamt 15 000 gewesen. „Der Trend steigender Beschwerden hält nach wie vor an“, wird die Bonner Regulierungsbehörde in dem dpa-Artikel zitiert.

Ein Beweis dafür dürften auch die Standard-Antworten der Post-Pressestelle sein, die trotz konkreter Fragen zu der Situation in Stuttgart-Rohr allgemein und wortgleich zum Beispiel auch in der Meldung der Deutschen Presseagentur zu finden sind.

Post betont, der gesetzliche Mindeststandard werde erfüllt

Ganz nachvollziehen kann die Post das erhöhte Beschwerdeaufkommen trotz allem nicht. Das Unternehmen stelle bundesweit nach wie vor mehr als 80 Prozent der Briefe am nächsten und mehr als 95 Prozent am übernächsten Werktag zu und erfülle damit die gesetzlichen Mindeststandards. „Die Laufzeiten messen nicht wir selbst, sondern eine externe, unabhängige Firma. Der Tüv bestätigt regelmäßig, dass die Ergebnisse korrekt sind“, betont die Pressestelle. Im Schnitt komme es an einem Werktag nur in etwa 100 der bundesweit mehr als 50 000 Zustellbezirken in ganz Deutschland dazu, dass die Briefzustellung aufgrund der genannten Personalengpässe ausfallen müsse.

Die Post argumentiert, dass der Anstieg der Beschwerden mit der Berichterstattung in den Medien korreliere. Zudem hätten die vielen Berichte dazu geführt, den Bekanntheitsgrad der Bundesnetzagentur als Beschwerdeinstanz noch einmal zu erhöhen.

Christof Blauß allerdings brauchte dazu keinen Zeitungsartikel. Für ihn sind „die angeblichen Personalprobleme der Post eine nicht akzeptable Ausrede für Missstände“. Jedes Unternehmen müsse selbst bei größeren Ausfällen seine Betriebsorganisation so gestalten, dass es seine vertraglichen Leistungspflichten jederzeit und rechtzeitig erfüllen könne, betont er und fügt hinzu: „Wir behalten uns Schadensersatz wegen nicht rechtzeitiger Postzustellungen ausdrücklich vor. Da die Nichtzustellung von Postsendungen im Bereich Thingstraße offensichtlich System hat, wäre auch zu prüfen, inwieweit dadurch der Straftatbestand des Paragrafen 206 Absatz 2 Strafgesetzbuch erfüllt ist.“ Der Abschnitt beinhaltet die „Unterdrückung von Postsendungen“.