Die vom Aufsichtsrat des VfB Stutgart vorgeschlagenen Präsidenten sind immer auch eine Reaktion auf die Vorgänger gewesen. Gleichzeitig sagt der Führungsstil der Chefs viel über den jeweiligen Zustand des Clubs aus.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Das Foto sollte Symbolkraft haben. Kurz vor dem Spielbeginn postete die Presseabteilung des VfB Stuttgart auf Facebook ein Foto des neuen Präsidenten, der gerade im Dresdner Stadion angekommen war. Wolfgang Dietrich, so die Botschaft, wird künftig präsenter sein als sein Vorgänger Bernd Wahler. Nach der 0:5-Niederlage des VfB wäre noch der Zusatz denkbar gewesen: Der neue Präsident geht auch dorthin, wo’s wehtut.

 

Das Debakel zum Einstand passt dann auch irgendwie zum Stellenprofil. Der Aufsichtsrat des Erstliga-Absteigers hat einen kompromisslosen Krisenmanager gesucht und ist sich sicher, in Wolfgang Dietrich dafür die Idealbesetzung gefunden zu haben: einen Mann der deutlichen Worte, einen Anführer, der die Interessen des Vereins vehement nach innen und nach außen vertritt und durchsetzungsstark ist.

Kurz gesagt: Der Aufsichtsrat sieht in Wolfgang Dietrich seinen Mann fürs Grobe. Was als eine Reaktion auf die zurückhaltende Amtsführung von Bernd Wahler zu werten ist. Wolfgang Dietrichs Vorgänger verstand sich als ein Moderator, der im Hintergrund agiert. Wahler war keiner, der mit der Faust auf den Tisch gehauen hat, wenn es nicht gelaufen ist. Weil es unter ihm aber nur ganz selten selten gut lief, hat der VfB-Aufsichtsrat so etwas wie den Gegenentwurf zu Bernd Wahler gesucht und ihn in Wolfgang Dietrich bekommen.

Auf der Mitgliederversammlung am 9. Oktober wurde der frühere Sprecher von Stuttgart 21 mit 57,2 Prozent der Stimmen zum neuen Clubchef gewählt – und hat schon nach etwa dreiminütiger Amstzeit einem kritischen Mitglied, das ihm zur Wahl gratulieren wollte, offenbar das Wort „Drecksack“ entgegengeschleudert. Der Vorwurf, zu lieb zu sein, den sich Bernd Wahler anhören musste, wird Wolfgang Dietrich also ganz sicher nicht gemacht.

Die vom Aufsichtsrat ausgesuchten Präsidenten des VfB Stuttgart sind schon immer eine Reaktion auf ihre Vorgänger gewesen und geben Aufschluss darüber, wie es zum Zeitpunkt ihrer Wahl um den Club bestellt war. Das wird beim Blick auf die Vereinchefs deutlich, die seit dem Jahr 2000 im Amt waren.

Manfred Haas (2000–2003)

Der damalige Chef der Sparkassenversicherung folgte auf Gerhard Mayer-Vorfelder. Der VfB hatte in den 25 Jahren unter MV eine äußerst erfolgreiche Zeit erlebt. Die Meisterschaften 1984 und 1992 sowie der Pokalsieg 1997 fielen in die Amtszeit des letzten großen Patriarchen beim VfB. Der sportliche Glanz hatte aber auch seinen Preis. Im Jahr 2000 stand der Club am Rande der Insolvenz. Nach 25 Jahren in Saus und Braus fiel die Wahl nach dem schillernden Gerhard Mayer-Vorfelder damals auf den wenig glamourösen Manfred Haas, der das Kontrastprogramm einschaltete. Haas führte den VfB auf einen überlebenswichtigen Sparkurs. Das war fast ein bisschen wie in der Politik, wenn in finanziell angeschlagenen EU-Ländern technokratische Regierungen auf sorglose Vorgänger folgen. Die Leistungen des Sanierers Manfred Haas, in dessen Amtszeit die Geburt der Jungen Wilden fiel und die Weichen für die erste Champions-League-Teilnahme gestellt wurden, sind in der Vergangenheit viel zu selten gewürdigt worden.

Erwin Staudt (2003–2011)

Während Manfred Haas seine Arbeit akribisch im Stillen verrichtete, war sein Nachfolger ein Mann fürs ganz große Publikum. Erwin Staudt hatte als VfB-Präsident das, was Manfred Haas fehlte: Charisma und eine ansteckende Begeisterungsfähigkeit. Der ehemalige Chef von IBM Deutschland war damit der passende Nachfolger von Manfred Haas, um den eingeschlagenen Erfolgsweg des Bundesligisten weiterzugehen – als erster hauptamtlicher VfB-Präsident. Staudt, ein begnadeter Redner, stellte den VfB neu auf. Seine engen Verbindungen zu Wirtschaft, Politik und Kultur machten aus einem ganz normalen Fußballverein eine gesellschaftliche Größe, die auf ganz Baden-Württemberg ausstrahlte. Unter der PR-Maschine Staudt wuchs die Mitgliederzahl von 7000 auf 45 000. Seine guten Beziehungen zur Stadt ließen den Traum von der reinen Fußballarena wahr werden – und 2007 auch noch den von der deutschen Meisterschaft.

Gerd Mäuser (2011–2013)

Dem Aufsichtsratschef Dieter Hundt war die Leichtigkeit, mit der Erwin Staudt sein Amt bekleidete, immer höchst suspekt. Die entspannte Arbeitsatmosphäre, die unter Staudt herrschte, und die Rückkehr roter Zahlen waren Hundt ein Dorn im Auge. Auf vermeintliche Fehlentwicklungen wurde wieder mit dem neuen Präsidenten reagiert: mit Gerd Mäuser, der bei seiner Wahl 58,7 Prozent der Mitgliederstimmen erhielt. Größer hätte der Unterschied zum Vorgänger nicht sein können. Während Staudt auf die Eigenverantwortlichkeit seiner Mitarbeiter setzte, ließ sich Mäuser alles erklären, um zu dem Schluss zu kommen: Das wäre auch besser (billiger) gegangen. Der Umgangston wurde unter Mäuser deutlich rauer, er kritisierte eigene Spieler öffentlich und bezeichnete Journalisten pauschal als „Schmierfinken“. Verdiente Mitarbeiter suchten während Mäusers Amtszeit das Weite. Bereits nach zwei Jahren wurde der ehemalige Porsche-Manager zum Rücktritt bewegt. Kurze Zeit später legte auch Aufsichtsratschef Dieter Hundt sein Amt nieder.

Bernd Wahler (2013–2016)

Die Antwort auf die turbulente Zeit beim VfB trug den Namen Bernd Wahler. Vom Aufsichtsrat als Konsenskandidat ins Rennen geschickt, erhielt der bodenständige frühere Adidas-Manager bei der Mitgliederversammlung im Juli 2013 bis dato unerreichbar scheinende 97,4 Prozent der Stimmen. Dieser Vertrauensvorschuss erwies sich allerdings als Hypothek für Wahler, der mit der Führungsrolle immer fremdelte. Der Mann aus dem Remstal verfolgte die Gepflogenheiten des Profifußballs eher ungläubig staunend, mehr wie ein Außenstehender und nicht wie eine Hauptfigur. Wahler ließ sich in Entscheidungen hineintreiben, agierte bald nicht mehr, sondern reagierte nur noch auf die sich ausweitende Krise, gefangen in einer Abwärtsspirale, die in den Abstieg führte. Die Reaktion darauf heißt Wolfgang Dietrich.