An diesem Freitag wird in Ruanda der Präsident gewählt. Der Amtsinhaber Paul Kagame hat seinen Sieg im Vorfeld sichergestellt. Unter seiner Führung boomt die Wirtschaft des Landes. Doch von Freiheit und Demokratie ist es noch weit entfernt.

Kapstadt - Die Überraschung wächst mit jedem Schritt. Im Flughafengebäude gibt es Wi-Fi umsonst – und keine Schwärme schreiender Männer, die fragwürdige Dienste zum Passieren der Passkontrolle oder des Zolls anbieten. Im Shuttlebus, der elektronisch mit dem Handy bezahlt werden kann, flimmert ein Monitor mit Bildern von Gorillas. Selbst im Stadtzentrum Kigalis – der Hauptstadt von Ruanda – sind an den Kreuzungen keine Bettler zu sehen, die Gehsteige sind sauber wie in Rosenheim. In den Straßencafés sitzen Menschen und schlürfen Cappuccino: Und das soll Afrika sein? Noch dazu das afrikanische Land, in dem vor zwei Jahrzehnten der schlimmste Völkermord der Zeitgeschichte tobte? Stammesangehörige der Hutu ermordeten damals binnen 100 Tagen mehr als 800 000 Tutsi.

 

Die verblüffende Verwandlung dient anderen als Vorbild

Kein Staat des turbulenten Kontinents hat eine verblüffendere Verwandlung als Ruanda erlebt. Die vor 23 Jahren bis auf die Fundamente zertrümmerte Bürgerkriegsnation gilt heute als „afrikanische Schweiz“, als Musterländle, an dem sich andere ein Vorbild nehmen sollen. Die Wirtschaft des rund zwölf Millionen Einwohner zählenden Staats wächst seit Jahren mit Raten über sieben Prozent, in dem Agrarland siedelten sich Callcenter und Computerfirmen an. Die Säuglingssterblichkeit sank in 20 Jahren auf ein Sechstel des ursprünglichen Werts, der Anteil der Armen fiel von 57 auf 39 Prozent.

Ruandas Präsident wird im Ausland als afrikanisches Vorbild verehrt, selbstverständlich wurde das Musterländle in den engsten Kreis des „Pakts für Afrika“ der G-20-Staaten aufgenommen. An diesem Freitag steht die Wiederwahl des 59-jährigen Präsidenten an: Keine Frage, dass Kagame erneut mit einem Sieg rechnen kann. Auf den ersten Blick nicht zu sehen ist die Schattenseite dieses Landes. Dass sich auf den Straßen keine Bettler tummeln, liegt am eisernen Zugriff der Polizei: Sie pflegt Straßenkinder und erwachsene Obdachlose in sogenannte Transitzentren zu verfrachten, wo sie dann festgehalten werden.

Obdachlose und Straßenkinder werden weggesperrt

Wer eine auch nur geringfügige Straftat begeht, muss damit rechnen, erschossen zu werden: Die New Yorker Menschenrechtsvereinigung Human Rights Watch dokumentierte jüngst die außergerichtliche Hinrichtung zahlreicher Kleinkrimineller. Unsichtbar ist auch die Tatsache, dass die aparten Bürohäuser vorwiegend einer kleinen Schicht der Bevölkerung gehören, über deren ethnische Zugehörigkeit im einstigen Völkermordstaat nicht mehr gesprochen werden soll. Jeder weiß jedoch, dass es sich – wie beim Präsidenten selbst – um Angehörige der Tutsi-Minderheit handelt.

Wenig vorbildlich ist auch die Tatsache, dass Kagame überhaupt zur Wiederwahl steht. Eigentlich hätte die jetzt zu Ende gehende Amtszeit seine letzte sein müssen – hätte der Amtsinhaber nicht schnell noch die Verfassung ändern lassen, die ihm nun noch drei weitere Amtszeiten ermöglicht. Darüber ließ der Präsident per Volksentscheid entscheiden, bei dem 98 Prozent der Ruander mit Ja stimmten.

Die Opposition ist in Ruanda praktisch nicht vorhanden

Zuvor waren Regierungsbeamte durchs Land gereist, um den Puls des Volkes zu fühlen: Dabei haben sie nach eigenen Angaben lediglich zehn Ruander gefunden, die sich gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen hätten. Alle anderen, sagen Spötter, sitzen wie die Oppositionspolitikerin Victoire Ingabire womöglich im Gefängnis.

Erstmals sind bei den Wahlen auch Kandidaten zugelassen, die nicht der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) Kagames oder einer ihrer Seitenwagenparteien angehören. Allerdings durfte keineswegs jeder, der wollte: Die 35-jährige Überraschungskandidatin Shima Rwigara – Tochter eines der reichsten Ruander, der vor drei Jahren womöglich von Agenten der Regierungspartei umgebracht worden war – wurde aus formalen Gründen von der Abstimmung ausgeschlossen und mit ihr ein halbes Dutzend weiterer Kandidaten. Übrig blieben nur zwei konkurrierende Anwärter: der Chef der Grünen Partei, Frank Habineza, sowie der unabhängige Philippe Mpayimana. Keiner der beiden kann Kagame gefährlich werden.

Präsident Kagame lässt sich nicht von außen beeinflussen

Zumindest muss man dem Präsidenten zugute halten, dass er seine von der Verfassung ursprünglich nicht vorgesehene Amtszeitverlängerung wesentlich besser arrangierte als die Staatschefs der beiden Nachbarstaaten. Sowohl Burundis Pierre Nkurunziza wie Kongos Joseph Kabila stürzten mit ihren plumpen Manövern ihre Heimat ins Chaos, dem bereits Tausende von Menschen zum Opfer fielen. Nicht, dass es in Ruanda zu keinen Todesfällen kommen würde: Immer wieder verschwinden Kritiker Kagames, in den vergangenen Jahren wurden allein 60 Journalisten umgebracht. Die westlichen Geberstaaten werden schon seit Jahren aufgefordert, den Staatschef endlich unter größeren Druck zu setzen: Da das Budget des Landes zu fast 40 Prozent aus Entwicklungshilfe besteht, ist Kagame tatsächlich verwundbar. Anmerken lässt sich das der ehemalige Rebellenchef allerdings nicht: Jede äußere Einmischung in seine Amtsführung verbittet er sich mit harschen Worten. Dann schrecken Washington, London, Berlin und Paris schnell zurück: Dort ist noch immer das schlechte Gewissen virulent, dass man dem Völkermord 1994 tatenlos zusah.