Wissenschaftler der Universität Hohenheim haben die Preisentwicklung von Lebensmitteln beobachtet – und warnen davor, die Inflationsgefahr zu unterschätzen. Sie prangern die in Corona-Zeiten ermittelte Teuerungsrate als verzerrt an.

Politik: Lisa Kutteruf (lis)

Stuttgart - Es war im Supermarkt, in der ersten Phase des Lockdowns infolge der Corona-Pandemie, als Jan Swiatkowski die Idee für eine Untersuchung kam. Dem Wirtschaftswissenschaftler fiel auf, dass die Lebensmittelpreise gestiegen waren. Wenig später begannen er und sein Kollege Marius Puke damit, die Preisentwicklung von Lebensmitteln verschiedener Supermärkte zu dokumentieren. Sie fokussierten sich dabei auf Chili con Carne, ein Gericht bestehend aus Hackfleisch und Gemüse, und entwickelten den sogenannten Chili-con-Carne-Index.

 

Es stellte sich heraus, dass die Speise von Anfang Februar bis Ende Mai um 7,5 Prozent teurer geworden war. Während der Preisanstieg für Hackfleisch moderat ausfiel, war der Preis für Paprika um beinahe 15 Prozent, für Mais um 14 Prozent und für Tomaten um 13 Prozent gestiegen – und das, obwohl die Inflationsrate stagnierte. Wie war das möglich? Swiatkowski und Puke identifizierten den sogenannten Warenkorb als Knackpunkt. Der Warenkorb ist eine Mischung aus Gütern und Dienstleistungen und basiert auf dem Konsum der Verbraucher in der Vergangenheit. Für Inflationsstatistiken ist der imaginäre Korb grundlegend, um die Teuerungsrate zu berechnen.

Verändertes Konsumverhalten in der Krise

Der Knackpunkt: Durch die Corona-Krise hat sich das Konsumverhalten der Menschen verändert und somit auch die Zusammensetzung des Warenkorbs. Die Wissenschaftler vermuten, dass Verbraucher in Zeiten von Lockdown und Homeoffice unter anderem weniger Geld für Kulturveranstaltungen, Hotels und Sprit, dafür aber mehr für Produkte des täglichen Bedarfs ausgeben.

Die Wissenschaftler befürchten deshalb, dass sich die Preissteigerungsrate insbesondere für Haushalte mit niedrigem Einkommen von der anhand des Warenkorbs ermittelten Inflationsrate unterscheidet. Sie sehen die Teuerungsrate bei Lebensmitteln als Folge einer zu expansiven Geldpolitik und warnen vor einer erhöhten Inflationsgefahr. Die Frage sei, ob die Entwicklung des Geldwerts tatsächlich einen so großen Spielraum für die Erhöhung der Geldmenge zulasse, wie man bei der EZB glaube.

Kunden sollen von niedrigerer Mehrwertsteuer profitieren

Mit Chili con Carne hatten die Wissenschaftler ein Gericht ausgewählt, das unter Studenten als beliebt gilt. Für ihre Analyse verfolgten sie seit Februar die Preisentwicklung von etwa 30 000 Produkten auf den Internetseiten europäischer Supermarktketten. Würde sich die Entwicklung der letzten Monate bis zum Jahresende fortsetzen, ergäbe sich den Forschern zufolge eine Preissteigerung von 3,8 Prozent. Die EZB errechne deutlich niedrigere Werte.

Die von der Koalition jüngst beschlossene Senkung der Mehrwertsteuer dürfte einer derartigen Erhöhung entgegen wirken. Der Lebensmittelhandel hat bereits niedrigere Kosten für Verbraucher angekündigt. Einer Handelsexpertin zufolge plant der Lebensmitteleinzelhandel, die Preisvorteile an die Kunden weiterzugeben. Bei der Edeka-Tochter Netto Marken-Discount sollen sie demnach „vollumfänglich“ beim Kunden ankommen.