Noch nie in mehr als sechs Jahrzehnten sind sich die Staatschef von Taiwan und dem chinesischen Festland persönlich begegnet. Das wird sich Ändern. Schauplatz des historischen Ereignisses ist am Wochenende der Stadtstaat Singapur.

Peking - Die zwei verfeindeten chinesischen Staaten nähern sich an: Chinas Staatschef Xi Jinping will am Samstag den taiwanischen Präsidenten Ma Ying-jeou treffen. In den 66 Jahren der Trennung hat es noch nie eine Begegnung der Präsidenten beider Chinas gegeben. „Das Ziel des Treffens ist eine Konsolidierung des Friedens auf beiden Seiten der Taiwan-Straße“, sagte Chen I-hsin, ein Sprecher Mas, am Mittwoch in Taipeh.

 

  Neben der Volksrepublik China, die ein gewaltiges Gebiet auf dem Festland einnimmt, existiert auch die Republik China auf der Insel Taiwan mit lediglich 23 Millionen Einwohnern. Dabei handelt es sich um den territorialen Rest des Staates, der ursprünglich nach der Absetzung des letzten Kaisers entstanden war. Nach einem Bürgerkrieg und dem Sieg der Kommunisten im Jahr 1949 waren die Eliten der alten Republik hierher geflohen.

Militärisch herrscht ein Patt

Taiwans Schutzmacht ist die USA. Peking hat der Insel zwar mehrfach mit einer militärischen Übernahme gedroht – doch in der Praxis herrscht seit sechs Jahrzehnten ein Patt. Um keinen Einmarsch Chinas zu provozieren, hat es Taiwan in all den Jahren auch vermieden, sich formal für unabhängig zu erklären.   Heute ist Taiwan demokratisch verfasst – anders als das Festland, wo die kommunistische Partei allein regiert. Das spielt auch für das bevorstehende Treffen eine Rolle: Die nächsten Wahlen sind für Januar angesetzt – und Xi greift mit dem Angebot eines Treffens massiv in den Wahlkampf ein.

Die Partei von Präsident Ma, die national orientierte KMT, liegt in Umfragen bis jetzt weit zurück. Gute Chancen auf einen Sieg hat dagegen die Demokratische Progressive Partei (DPP). Die DPP lehnt das Prinzip der theoretischen Einheit Chinas ab – eine Provokation gegenüber Peking. Junge Taiwaner befürworten jedoch eine weitere Abkehr von China.   Die Opposition zeigt sich irritiert über den Vorstoß Mas. „Ein solches Treffen ist ein großes Ereignis, aber schon die chaotische Art der Ankündigung beschädigt Taiwans Demokratie“, sagte Tsai Ing-wen, die Spitzenkandidatin der DPP. Das Präsidialamt in Taipeh beeilte sich dagegen zu versichern, Ma werde Xi keine Zugeständnisse machen und erst recht keine Abkommen unterschreiben. Es werde nicht einmal eine gemeinsame Erklärung geben. Ma werde sein Vorgehen am Donnerstag in einer Pressekonferenz erklären.   Das klingt fast so, als müsse Ma sich für das Treffen rechtfertigen.

Ein Treffen für die Geschichtsbücher

Dabei könnte es in die Geschichtsbücher eingehen – möglicherweise als Beginn einer Phase der Entspannung. Aus Sicht Mas handelt es sich um den Höhepunkt einer politischen Karriere, die im Mai nach über 30 Jahren endet.   Mit der Einladung zu dem Gespräch streckt Präsident Xi die Hand nach der Insel aus – aus taiwanischer Sicht jedoch nicht nur im positiven Sinn, sondern auch im Sinne einer zunehmenden Vereinnahmung. Xi hat sich seit seinem Amtsantritt betont freundlich und offen gegenüber Taiwan gezeigt. Kritiker sehen darin den Versuch, Akzeptanz für eine Wiedervereinigung zu schaffen.

Peking bietet implizit an, der Insel unter dem Grundsatz „ein Land, mehrere Systeme“ eine demokratische Verfassung zu lassen. Das gleiche Versprechen galt jedoch bereits für Hongkong – und dort stockt die Einführung echter Demokratie.   Die Blockadehaltung gegenüber echter Demokratie in Hongkong war der Grund für die heftigen Studentenproteste dort vor einem Jahr. Die Jugend in Taiwan hat diese Ereignisse genau verfolgt – und hält das repressive Vorgehen Xis in Hongkong für aussagekräftiger als seine einschmeichelnden Worte gegenüber Taiwan.  

Neutraler Boden in Singapur

Das Treffen der beiden Präsidenten findet in Singapur statt, wo beide an einer Feier zum Jahrestag der Aufnahme von Beziehungen Chinas zu dem Stadtstaat teilnehmen. Die Dauer des Gesprächs ist auf 20 Minuten beschränkt. Am Ende wird es wohl ein gemeinsames Foto mit Handschlag stehen.   Viel wird sich darin zeigen, ob Xi und Ma dabei lächeln, denn Xi will auch gegenüber der eigenen Partei nicht den Eindruck erwecken, Präsident Ma wirklich  ernst zu nehmen. Schließlich handelt es sich bei Taiwan nach dem eigenen Geschichtsbild lediglich um eine abtrünnige Provinz. Beide Politiker erkennen auch den Präsidententitel des jeweils anderen nicht an. Sie werden sich voraussichtlich mit „Herr Xi“ und „Herr Ma“ anreden.