Im ersten Jahr ohne Tiger, Elefant und Co. führt der 26. Weltweihnachtscircus glamourös und sensationell vor, dass eine Show auch ohne Wildtiere begeistern kann. Am Donnerstag war Premiere auf dem Cannstatter Wasen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Aus dem weißen Flügel spritzen Wasserfontänen in die Höhe, in denen der blonde Artist, den man zunächst für die russische Antwort auf Richard Clayderman gehalten hat, kopfüber und tropfnass tanzt. Aus sechs überdimensionalen Fabergé-Luxuseiern steigen sechs festlich glitzernde Paare, die mit dem größten Quick-Change der Welt die Geschichte von Sankt Petersburg zelebrieren. Der Wechsel der bonbonbunten Kostüme, meist mit der Leuchtkraft von Tausenden von Strasssteinen zum Blenden schön, ist so rasant, dass man oft seinen Augen nicht traut.

 

Die 26. Show des Weltweihnachtscircus (WWC), die am Donnerstagabend auf dem Wasen mit etlichen Promis (vom dreifachen Ring-Weltmeister Frank Stäbler bis zur Turn-Rekordmeisterin Elisabeth Seitz, vom Magier Topas bis zur VfB-Legende Hansi Müller) Premiere gefeiert hat, ist geprägt von den Theatervisionen des Gia Eradze Royal Circus aus Moskau. Diese einzigartige Show ist eine irre Mischung aus Moulin Rouge, Apassionata (Pferde sind die einzigen Tiere, die geblieben sind) und russischem Disneyland. Weltklasse von Zirkusklassikern und Weihnachtskitsch der neuen Zeit (zum Finale wächst ein roter Leuchtbaum bis ans Dach empor) treiben sich gegenseitig an.

62 Vorstellungen auf dem Wasen bis zum 6. Januar

Tradition und Zukunft des Manegen-Entertainments begegnen sich in wilder Harmonie, so dass man mit Fug und Recht sagen kann: Stuttgart ist das Monte Carlo von Deutschland, was den Zirkus betrifft – und Stuttgart hat dabei sogar die Nase vorn. Denn etliche Nummern, die jetzt bei 62 Vorstellungen bis zum 6. Januar auf dem Wasen zu sehen sind, feiern erst in Bad Cannstatt Weltpremiere, ehe sie im direkten Anschluss zum Internationalen Zirkusfestival ins Fürstentum weiterziehen.

Etwa ein Drittel des dreistündigen Programms werden vom Gia Eradze Royal Circus bestritten, der mit etwa 70 Artisten, 24 Tänzerinnen und Tänzern und 3000 Kostümen angereist ist. Zu der Wundertüte aus Moskau, die mitunter vielleicht etwas zu sehr das russische Klischee bedient, schießt Adrenalin durchs Zelt, wenn etwa zehn Motorradfahrer mit ihren Maschinen in einer Enge aus Stahl, die man „Todeskugel“ nennt, kreuz und quer aneinander vorbeirasen. Clown Housch ma Housch, hinter dem sich der weltweit gefragte Ukrainer Simon Schuster verbirgt, wagt in der tigerzahnlosen, aber dafür in den Farbenrausch verliebten Show dann doch eine Dressurnummer. Der 45-Jährige mit dem seitwärts abstehendem Haar packt eine Art Frettchen aus. Na klar, es ist nur eine Fantasiepuppenfigur – das Publikum lacht sich schlapp über den kleinen Gesellen.

Die „bisher teuerste Show“ in Stuttgart

Nach dem vom Stuttgarter Gemeinderat verfügten Wildtierverbot für Zirkusgastspiele hätten der 81-jährige WWC-Patriarch Henk van der Meijden und seine Tochter Elisa van der Meijden, die Juniorchefin, dank der Übergangsfrist noch Tiger, Elefanten und Co. präsentieren dürfen. Doch Vater und Tochter haben freiwillig entschieden, den Schlussstrich schon jetzt zu ziehen, ein Jahr früher als verlangt. Für Tierschützer könnte die Show kaum besser sein (mal abgesehen von den Pelzen der russischen Reiter), weil sie eindrucksvoll beweist: auch ohne Raubtiere ist beste Unterhaltung auf höchstem Niveau möglich. 2019 feiert der Zirkuschef den 82. Geburtstag und schafft es noch immer, Stuttgart stets aufs Neue zu überraschen.

Das macht seinen Erfolg aus: Das verwöhnte Publikum bekommt nicht unbedingt ein Programm serviert, das besser ist als das vom Vorjahr, aber ein völlig anderes. Zwar heißt es immer, Artisten aus Russland könne man für niedrige Gagen engagieren, aber im Fall von Gia Eradze stimmt das nicht, versichert der Chef. „Das ist meine bisher teuerste Show in Stuttgart“, sagt Henk van der Meijden.

Es scheint auch eine der erfolgreichsten Shows zu sein. 100 000 Karten sind bereits verkauft – es werden garantiert noch mehr. Denn nach der Glamour-Parade werden begeisterte Besucher Freunden und Kollegen sagen: „Das müsst ihr gesehen haben!“

Gespielt wird bis zum 6. Januar. Karten für 24 bis 64 Euro unter der Telefonnummer 07 11/6 74 47 70 oder an der Zirkuskasse.