Eric Gauthier gibt alles in „The Gift“. Ob der von Itzik Galili gestaltete Solo-Abend tatsächlich ein Bühnenabschied wird, muss sich deshalb erst noch zeigen.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Gebt ihm eine Bühne, und er wird sie füllen. Wäre Eric Gauthier ein Schauspieler, dann würden ihm die Kollegen zum Abschied ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Rampensau“ schenken. Doch Eric Gauthier ist Tänzer, als solcher füllte er und füllt jede Bühne auf eine ganz selbstverständliche Art, quasi nebenbei, niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, sich in den Vordergrund zu spielen, wenn die Rolle das nicht unbedingt vorsah.

 

Musste er gar nicht. Unvergessen ist die geschmeidige Coolness, mit der während seiner Zeit beim Stuttgarter Ballett William Forsythes „Approximate Sonata“ mit einer Improvisation eröffnete. Bleiben wird auch die Verwegenheit, mit der er seinen Mercutio ins Jenseits beförderte. Und für die feingliedrige Erregtheit, mit der er später Marco Goeckes Solo „I Found a Fox“ zum Bühnenereignis machte, wäre er beinahe zum Tänzer des Jahres gekürt worden. Schon immer war da, wo Eric Gauthier tanzte, vorn.

Im Umkehrschluss könnte man sagen: Da, wo Eric Gauthier ist, ist eine Bühne. Unmöglich also, dass sich ein solcher Tänzer von ihr verabschiedet. Eric Gauthier versucht es dennoch derzeit im Theaterhaus. „The Gift“ heißt der Solo-Abend, mit dem sich der 41-Jährige mit Beistand des Choreografen Itzik Galili noch einmal als Tänzer vor Weggefährten und Publikum verbeugen will, nachdem schon vor längerer Zeit ein mit dem Ballettsuperstar Diana Vishneva getanztes Duett, Hans van Manens „The Old Man and Me“, den Schluss in ihm reifen ließ: Dieser Moment ist nicht zu toppen, hör auf!

Ein Künstler, der viele neue Rollen ausfüllen muss

Mach weiter! Ein bisschen scheint das der lange, herzliche Applaus am Ende von siebzig sehr kurzweiligen „The Gift“-Minuten zu fordern. Vor allem aber zollte das Publikum bei der Premiere am Mittwoch im Theaterhaus einem Künstler Respekt, der viele neue Rollen ausfüllen muss, der als Chef von Gauthier Dance Verantwortung für 16 Tänzer hat, der als Vater von drei Kindern gefordert ist – und für den das Tanzen nicht mehr die Notwendigkeit von einst hat. Während sie den Bühnenmenschen in all seinen Facetten inszeniert, den Singer-Songwriter ebenso wie den Tanzanimateur, entwickelt Gauthiers Selbstbefragung in vielen Momenten jedoch eine Dringlichkeit, die eigentlich nur einen Schluss zulässt: Da ist einer mit einem Thema noch nicht ganz durch.

The Gift - A solo evening danced by Eric Gauthier from Theaterhaus Stuttgart on Vimeo.

Und da tanzt einer, der trotz aller Zweifel, Schmerzen, Verletzungen, trotz aller unerfüllten Träume, von denen er mit präzisen Gesten, gefangen in einem Lichtkegel erzählt, verblüffend fit ist für ein Adieu. Der sogar fit genug ist, um sich all die Träume zu erfüllen, die ihm die strengen Stuttgarter Ballettregeln verwehrten. Zu klein für die Prinzenrolle? In „The Gift“ holt Gauthier mit Humor Versäumtes – Basilio! Prinz Desiré! Romeo! – mit einem sehr frechen Augenzwinkern, aber doch virtuos nach. Diese Fitness, man ahnt es, wird er sich ein Weilchen erhalten müssen, die ersten Zusatzvorstellungen am Ende des Jahres mit seinem Solo sind in Planung. Und an ersten Gastspielanfragen wird es nach der Premiere sicherlich nicht mangeln.

Erinnerungen an „Don Q.“

Sieben Jahre lang trat Eric Gauthier immer wieder mit Egon Madsen in „Don Q.“ auf. Und Itzik Galilis „The Gift“ ist von einem ähnlichen Kaliber, eine ebenfalls nicht immer getanzte Revue, die allerdings nicht vom Verlust der Wirklichkeit, sondern von ihrer Rückeroberung erzählt. Den Lügendetektor, der dem Tänzer mit bohrenden Fragen aus dem Off zu Leibe rückt – „Wann hast du zum letzten Mal auf deinen Atem geachtet?“ – braucht es eigentlich kaum. Auch so sind viele der kurzen Szenen psychologisch feinfühlig ausgeleuchtet. Sie deuten die Ängste und Motivationen eines Künstlers an, der nie mit sich zufrieden ist. Und sie verweisen auf die Kraft der Erinnerung, die Eric Gauthier aus Einmachgläsern befreit und jedem Geräusch eine Geschichte mit auf den Weg gibt: „Da klopfe ich an die Tür Reid Andersons . . . “

Eine Dramaturgie (Esther Dreesen-Schaback), die Emotionen richtig dosiert, eine Live-Kamera (Rainhardt Albrecht-Herz), eine Soundcollage (Stephan M. Boehme), Bühne und Kostüm (Itzik Galili), die sich nicht aufdrängen, wiegen die vielen Klischees auf, die „The Gift“ mitliefert, und auch manche bis zum zu späten Ende auserzählte Szene, der mehr Offenheit gut getan hätte. Insofern stimmt der Vergleich, den Eric Gauthier zitiert: Er sei der Jamie Oliver des Tanzes, weil er die Menschen in Bewegung versetze, so wie sie der Koch an den Herd bringe. Die Zutaten und Zubereitung sind auch bei Gauthier einfach, wie ein Spaghetti-Carbonara-Tanz für das hungrige Publikum demonstriert.

Der Tanz sei eine Gabe, mit der man als Zwanzigjähriger umgehen kann, aber nicht mehr als Vierzigjähriger. Das behauptet zu Beginn von „The Gift“ die strenge Stimme aus dem Off. Der Lügendetektor hätte da eigentlich laut fiepen müssen, so wie Eric Gauthier in diesem Stück um und durch sein Leben tanzt.

Weitere Termine am 23., 24., 25. März, 27.-30. April, 9.-13. Mai sowie 6., 7. und 8. Juli