Baden-Württemberg will einer sozialen Spaltung durch Privatschulen entgegensteuern und springt ein, wenn Schulen auf Schulgeld verzichten. Ganz ist die Gefahr nicht gebannt, meint ein Erziehungswissenschaftler.

Stuttgart - Der Trend zur Privatschule ist in Baden-Württemberg ungebrochen. Seit Jahren steigt die Zahl der Privatschüler stetig, auch wenn die Schülerzahlen insgesamt etwas zurückgehen. Dass Privatschulen zur weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen, wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann moniert hatte, lässt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) nicht gelten. Sie würdigt die Schulen in freier Trägerschaft als „wichtigen Bestandteil der Bildungslandschaft in Baden-Württemberg. Sie liefern wertvolle Impulse für Neuerungen im Bildungswesen.“ Das Land garantiere den Schulen dauerhaft eine solide Finanzierung. 80 Prozent der sogenannten Bruttokosten übernimmt das Land Baden-Württemberg; verzichten Schulen auf Schulgeld, können sie vom Land einen Ausgleich bekommen. Damit habe das Land das sogenannte Sonderungsverbot konkretisiert, das besagt, dass Privatschulen nicht selektiv wirken dürfen.

 

Eine Milliarde für Privatschulen

Eisenmann verweist darauf, dass das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die baden-württembergischen Konkretisierungen als richtungsweisend und vorbildhaft charakterisiert hat. „Wir gewährleisten damit allen Schülerinnen und Schülern eine freie Schulwahl – egal, wie viel ihre Eltern verdienen und wie die Wirtschaftslage in der Familie ist. Damit vermeiden wir elitär abgeschottete Schulen und steuern einer sozialen Spaltung entgegen“, sagte Eisenmann unserer Zeitung. Die Einhaltung des Sonderungsverbots durch die Schulen in freier Trägerschaft werde durch die Regierungspräsidien kontrolliert. Im Jahr gibt Baden-Württemberg knapp eine Milliarde Euro im Jahr für die Privatschulen aus.

Attraktiv für finanzkräftige Eltern

Zurückhaltender äußert sich der Tübinger Erziehungswissenschaftler Thorsten Bohl. Er sagte unserer Zeitung: „Angesichts von mehr als 600 Privatschulen in Baden-Württemberg kann die Problematik einer zunehmenden sozialen Spaltung, die auch durch Privatschulen verstärkt werden kann, nicht ausgeschlossen werden.“ Es sei wichtig, „die soziale Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen zu kennen und gegebenenfalls auf das grundgesetzlich verankerte Sonderungsverbot hinzuwirken.“ Die Privatschulen seien „häufig für Eltern attraktiv, die finanzkräftig sind und für die die günstige soziale Zusammensetzung der Privatschulen attraktiv ist - insofern wirken sie durchaus selektiv“, meint der Direktor der School of Education an der Universität Tübingen.

Fast jeder zehnte Schüler besucht eine Privatschule

In Baden-Württemberg ist der Anteil der Privatschulen traditionell hoch, und er steigt weiter an. Für das jetzt zu Ende gegangene Schuljahr listet das Statistische Landesamt an allgemeinen Schulen mehr als 106 800 Privatschüler auf, bei insgesamt 1,101 Millionen Schülern insgesamt (9,7 Prozent). Ein Jahr davor gab es gut 105 900 Privatschüler unter den 1,106 Millionen Schülern (9,6 Prozent). Vor fünf Jahren, im Schuljahr 2013/14, besuchten von 1,140 Millionen Schülern 102 061 eine Privatschule (8,9 Prozent) , vor zehn Jahren, waren es rund 96 100 von 1,254 Millionen (7,7 Prozent). Jeder dritte Privatschüler (35 390) besuchte im Schuljahr 2018/19 ein Gymnasium. Damit ist etwa jeder achte Gymnasiast in Baden-Württemberg ein Privatschüler. Die zweitgrößte Gruppe der Privatschüler im Südwesten sind die Waldorfschüler mit etwas mehr als 23 100 Schülern. 43 Prozent der allgemeinen Privatschulen im Südwesten sind in kirchlicher Trägerschaft.