Immer mehr Menschen nehmen Sprachnachrichten auf und versenden sie, anstatt direkt zu telefonieren. Das bedeutet mehr Selbstbestimmung, findet Isabel Mayer. Ganz schön nervig, meint hingegen Lukas Jenkner.

Stuttgart - Die modernen Handys und Smartphones haben die Kommunikation grundlegend verändert und tun es weiterhin. Mit der massenhaften Verbreitung der Handys in den 1990er Jahren hielt die so genannte SMS (Short Message Service, Kurznachrichtendienst) Einzug in die Kommunikation der Menschen. Die war damals noch auf 160 Zeichen begrenzt, weshalb es als großer Fortschritt galt, als die ersten Handys in der Lage waren, längere SMS zu stückeln und dann zu versenden.

 

Heute klingt das, als würde Opa vom Krieg erzählen. Nachrichten per Smartphone werden multimedial mit Fotos, Videos und Sounds aufgepeppt. Statt der Postkarte gibt es heute das Selfie vom Strand und statt des Dia-Abends 36 Fotos aufs Smartphone, die man dann mit fröhlichen, gelben Emojis digital bekleben kann.

Ein Trend, der sich immer weiter durchsetzt, ist die Mischung aus Telefonanruf und Textnachricht – die Sprachnachricht. Vor allem jüngere Menschen, aber längst nicht nur, rufen sich nicht mehr gegenseitig an oder schreiben lange Textnachrichten, sondern drücken auf das Mikrofon und reden los – mitunter minutenlang. Die Aufnahme wird dann versendet – eine Art mobiler und digitaler Anrufbeantworter auf Gegenseitigkeit.

Albern oder sinnvoll: Was ist von Sprachnachrichten zu halten? Die Redakteure Isabel Mayer (24) und Lukas Jenkner (47) haben sich Gedanken gemacht.

Pro: Ich bestimme, wann ich antworte

Ein Großraumbüro und sein Smalltalk sind unzertrennlich. Wetter hier, Kantine da, ist ja ganz schön, reicht dann aber auch. Abends auf dem Sofa angekommen, genieße ich die Ruhe - bis mein Handy vibriert. Ich schiele aufs Display, mein Puls steigt, mein Arm zuckt. Ich nehme trotzdem nicht ab. Stundenlange Gespräche über den jüngsten Beziehungsknatsch oder gar ohne essenziellen Inhalt haben mich eines Besseren belehrt. Zwei Minuten später leuchtet das Display wieder auf, eine Sprachnachricht des Anrufers – na also, geht doch. Die Quintessenz des vermiedenen Gesprächs flattert direkt auf mein Handy. Wann ich zuhöre, bleibt voll und ganz mir überlassen.

Für meine Antwort lasse ich mir Zeit, sammle meine Gedanken und drücke erst auf den Aufnahmeknopf, wenn ich weiß, was ich sagen möchte. Oft warte ich währenddessen auf das Kochen des Nudelwassers oder bin unterwegs. Das Mobiltelefon ganz klassisch waagerecht in die Hand gelegt, spreche ich ins Mikrofon. Eine ausführliche Sprachnachricht kann dann schon mal zwischen fünf und zehn Minuten dauern – ich bin ja schließlich trotz nicht beantworteter Anrufe eine gute Freundin mit offenem Ohr, wenn ich eben Zeit und Lust dazu habe.

Wo ich die Sprachnachricht aufnehme, hängt vom Thema ab. Der pikante Austausch über die Sahneschnitte aus dem Marketing findet natürlich nicht in der peinlichen Stille der Stadtbahn statt. Fußwege eignen sich dagegen wunderbar. Für weniger intimen Gesprächsstoff ist die Bahn ein angemessener Ort der Tonaufnahme. Um Mitmenschen nicht zu verärgern, achte ich selbstverständlich auf eine angemessene Lautstärke und Wortwahl.

Wer mich trotzdem irritiert anstarrt, dem sei gesagt: Sprachnachrichten sind das neue Telefonieren. Immerhin schallt der grelle Klingelton meines Handys nicht durch die Bahn, wenn ich angerufen werde und das Telefon aus den Tiefen meiner Tasche kramen muss. Ich habe mein Handy nämlich immer aufnahmebereit in der Hand.

Contra: Quasselterror im öffentlichen Raum

Eine typische Szene abends in der Stadtbahn: Während ich geschafft vom Arbeitstag meine Ruhe haben will, informiert mich eine junge Dame auf der Sitzbank gegenüber darüber, dass sie zum Mädelsabend die Kartoffelchips organisiert hat, und wedelt dabei fröhlich mit knisternden Tüten vor meiner Nase. Ich bin genervt und unterdrücke den Impuls, ihr die Chipstüten aus der Hand zu schlagen. Egal ob Anruf oder Sprachnachricht – im öffentlichen Raum hat dererlei nichts zu suchen, wenn Anrufe und Angerufene sich nicht in Zurückhaltung üben.

Von den vielen digitalen Absonderlichkeiten wie Selfies, Essensfotos und Emojis, mit denen jede Textnachricht beklebt wird, nervt mich die Sprachnachricht am meisten: Nicht nur, dass sie viel zu oft lauthals herausposaunt wird. Ich finde diese krude Mischung aus Multitasking und Egoismus höchst seltsam. Sich die Sorgen und Nöte von Freunden per Sprachnachricht anzuhören, während die neueste Netflix-Serie läuft oder die Pasta auf dem Herd köchelt, hat für mich nichts mit Zugewandtheit zu tun.

Zur Freundschaft und zum Commitment gehört dazu, anderen Menschen dann Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken, wenn sie dies wünschen und brauchen, und nicht dann, wenn es mir gerade in den Kram passt. In den 1980er und 1990er Jahren, als die Anrufbeantworter aufkamen, haben sich die Menschen darüber amüsiert, dass sie sich tagelang nur über Maschinen erreichten – und sich dann zu einem Termin verabredet, der eingehalten wurde.

Die Sprachnachrichten sind wohl eine Art Airbag für ein ganz anderes Problem der digitalen zwischenmenschlichen Kommunikation: Durch die ständige, mobile Erreichbarkeit hat das sinnentlernte Quasseln per Anruf oder Textnachricht derart überhand genommen, dass sich viele Menschen gar nicht mehr anders zu helfen wissen, als sich phasenweise zu verweigern. Aber da wäre mehr Selbstbescheidung und Konzentration aufs Wesentliche angesagt. Auch hier gilt: Manchmal ist weniger dann doch mehr.