Viele Ex-Nationalspieler kritisieren das deutsche Team in aller Schärfe. Ihre zum Teil niveaulosen Sprüche und ihr beißender Spott ärgern viele Fußballer, Fans und Fernsehzuschauer – zu Recht? Zwei Redakteure, zwei Meinungen.

Stuttgart - Noch immer diskutiert ganz Fußball-Deutschland über die Auftaktniederlage des Nationalteams bei der WM gegen Mexiko – und zahlreiche TV-Experten äußern sich in Talkrunden oder bei Analysen im Fernsehen bissig und scharf, manchmal auch am Rande des guten Geschmacks. Viele Fans sind verärgert, wiederum andere halten die Aussagen für notwendig und angebracht. Ein Pro und Kontra zur Debatte.

 

Pro: Populismus ist Gift für jede Debatte

Mario Basler sitzt bei „Hart, aber fair“ und erklärt ohne fachliche Einordnung Mesut Özil habe die „jämmerliche“ Körpersprache eines „toten Frosches“. Das mögen manche TV-Zuschauer witzig finden – in meinen Augen ist es nur eines: beleidigend. Baslers abfällige Aussagen stehen stellvertretend für einen zu beobachtenden Trend: Die Verrohung der Sprache im Netz, in Talkshows und mittlerweile gar im politischen Diskurs.

Unter der Flagge „das wird man doch noch sagen dürfen“ segeln seit geraumer Zeit Politiker und Meinungsmacher durch die Talkshows – „klare Kante zeigen“, nennen das die einen. Unsäglich populistisch empfinden es die anderen. Dass Özil ein schwaches Spiel gemacht hat, steht außer Frage. Dass er in der Erdogan-Debatte eine – zurückhaltend formuliert – sehr unglückliche Figur abgibt, ist ebenso wahr und muss aufgearbeitet werden. Wer hier „klare Kante“ seitens der Experten fordert, liegt richtig. „Seine Persönlichkeitsentwicklung hat nicht Schritt halten können mit dem, was er auf dem Platz zeigt.“

Klar in der Sache, aber höflich im Ton

Zack! Das saß. Klare Kante? Absolut! Polemisch oder beleidigend? Keineswegs! Und das kam nicht etwa aus dem Munde der vermeintlichen Klarsprecher wie Basler oder Effenberg, sondern von ARD-Experte Thomas Hitzlsperger - klar in der Sache, aber höflich im Ton. Diese Aussage tätigte er wohlgemerkt mit dem Teammanager des DFB direkt neben sich. Das ist mutig, richtig und wohl das, was als „klare Kante“ verstanden wird.

Aber wie Matthäus zu unterstellen, dass Özil sich im Deutschland-Trikot „seit Jahren nicht wohlfühlt“, ist anmaßend und bedient zudem leider das Klischee des Deutsch-Türken, dem Deutschland irgendwie egal sei. Die Zwischentöne, die Matthäus – ob bewusst oder unbewusst – mitschwingen lässt, sind Gift für die sachliche Debatte. Und wenn Basler mitteilt, wir hätten nur noch „weichgespülte Nationalspieler“, um direkt danach Mats Hummels öffentliche, aber sachliche Kritik als „No-go“ zu bezeichnen, ist das weder klare Kante noch inhaltlich schlüssig – das ist einfach nur polemisch und dumm. Das ist zwar nicht verboten, braucht aber kein Mensch.

Kontra: Die Geister, die der Fußball rief

Wer nach der miserablen Leistung gegen Mexiko von Bundestrainer Joachim Löw oder Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff deutliche Worte erwartet hatte, wurde enttäuscht. Statt Selbstkritik gab es nur Selbstgefälliges zu hören, statt schonungsloser Analyse lahme Durchhalteparolen. Schön, dass viele (der allerdings viel zu vielen) TV-Experten Klartext gesprochen haben. Manche sachlich fundiert, andere weniger intellektuell, dafür umso emotionaler und unterhaltender. Klar ist: Beide Herangehensweisen haben ihre Berechtigung.

Man muss Ex-Nationalspieler wie Lothar Matthäus, Stefan Effenberg, Mario Basler oder Michael Ballack nicht mögen. Aber sie wissen, von was sie reden – weil sie im Fußball alles erlebt haben. Wenn sie also kritisieren, dass Mesut Özil zu wenig Herz, Freude und Leidenschaft zeige (Matthäus), dass Hummels schon während und nicht erst nach dem Spiel den Ton hätte angeben müssen (Effenberg), dass man als Mittelfeldspieler auch mal einen Zweikampf gewinnen müsse (Basler) oder dass gegen Mexiko Teamgeist und Hingabe gefehlt hätten (Ballack), mag das zwar populistisch sein, ist deshalb aber noch lange nicht falsch.

Gigantische Unterhaltungsmaschinerie

Und wenn mal ein Spruch unter die Gürtellinie geht wie früher ein Freistoß von Basler oder Ballack beim Mann in der Mauer? Ist das nur der TV-Beweis dafür, dass der Fußball mit den Geistern, die er rief, nun auch leben muss. Längst ist dieser Sport zu einer gigantischen Unterhaltungsmaschinerie geworden, die auch geölt werden will, soll sie am Ende möglichst viel Gewinn ausspucken. Dafür sind TV-Gelder in Milliardenhöhe nötig. Um diese zu refinanzieren, muss der Fußball nicht nur spektakuläre Spiele und tolle Tore bieten, sondern auch Sprüche, Spott und Späße. Unterhaltung eben.

Wenn die Herren Matthäus, Effenberg oder Basler keine Quotenbringer wären, würden die TV-Anstalten sie auswechseln. Dass sie mit der Aufstellung dieser Experten auch niedere Instinkte bedienen, nehmen die Fernsehmacher in Kauf. Ganz bewusst. Den Fans, die den Kanal voll haben? Bleibt immer noch die Option, den Sender zu wechseln.