Ein Gerlinger Landwirt hat unzählige Kartoffeln auf einem Feld zurückgelassen, weil er sie für unverkäuflich hält und sich den Zorn eines Spaziergängers zugezogen. Der bezeichet das Vorgehen im örtlichen Mitteilungsblatt als „verächtlich“.

Gerlingen - Klaus Sickinger ist Mitglied einer „Gerlingern Bauerndynastie“. Seit dem 16. Jahrhundert bewirtschaftet seine Familie Äcker rund um Gerlingen. Darauf ist Sickinger stolz, auch wenn er selbst Ackerbau und Viehzucht seinen Verwandten überlassen hat. Was er aber Mitte Oktober bei einem Spaziergang entlang der Felder nördlich der A 81 bei Ditzingen entdeckte, ließ ihn fast vom Glauben an die Ehre der Landwirtschaft abfallen: Auf einem frisch abgeernteten Feld lagen noch Tausende Kartoffeln herum. Sickinger war davon so entsetzt, dass er Fotos davon machte und diese mit einem Leserbrief im Gerlinger Mitteilungsblatt veröffentlichte.

 

Das Problem ist nicht die Größe der Kartoffeln

„Diese Vorgehensweise bezeichne ich als arrogant und verächtlich den Menschen gegenüber, die hungern müssen oder an Hunger sterben!“ schreibt Sickinger dort. Wie man so viele Kartoffeln verrotten lassen könne, nur weil sie der Norm nicht entsprächen, kann er nicht verstehen. Er vermutet, dass viele der Früchte zu klein für das Raster der Erntemaschine waren und einfach zurück auf das Feld fielen. Diesen „Missstand“ hätte man beenden können, indem man das Raster kleiner stelle, heißt es im Leserbrief. „Und wenn die Maschine nicht richtig funktioniert, muss man wenigstens mit der Hand nachlesen oder die Felder für die Öffentlichkeit zum Sammeln freigeben“, meint Klaus Sickinger.

Martin Maisch ist ebenfalls ein stolzer Landwirt aus Gerlingen. Er bewirtschaftet das Feld, das auf den Bildern zu sehen ist. Auf Sickingers Vorwürfe antwortet er mit Unverständnis. Über ein verstellbares Raster verfüge seine Erntemaschine gar nicht. Überhaupt hätten er und seine Helfer die vielen Kartoffeln nicht wegen ihrer geringen Größe aussortiert und auf dem Acker gelassen, sondern weil 95 Prozent davon Ausschuss seien. Viele Früchte seien aufgeplatzt. Andere hätten faulige Stellen oder Beulen und Verwachsungen. Eine Menge Knollen seien dazu noch grün und giftig. „Die kann ich nicht verkaufen, weil sie nicht verkehrsfähig sind“, sagt Maisch.

Die hohe Feuchtigkeit im August schadet den Knollen

Der Gerlinger Landwirt ist nicht der einzige Kartoffelbauer, der 2013 eine schlechte Ernte einfahren musste. Um 20 bis 30 Prozent geringer als im Vorjahr seien die Erträge in Baden-Württemberg, schätzt der Bauernverband. „Dieses Jahr war kein gutes Jahr für Kartoffelbauern“, sagt Mark Mitschke vom Landwirtschaftlichen Beratungsdienst für Kartoffelanbau in Heilbronn. Die Landwirte hätten durch den langen Winter erst spät mit der Aussaat beginnen können. Dann seien die Früchte im trockenen Frühling schnell gereift, bevor viele in den feuchten Monaten August und September noch einmal einen Wachstumsschub angesetzt und Beulen gebildet hätten. Diese Ausbuchtungen seien bei der Ernte in der Regel noch unreif, wässrig und damit anfällig für Fäule.

Das Resultat sieht man gerade auf Martin Maischs Äckern. Die Landwirte mussten mehr Knollen liegen lassen, weil diese sich schlecht verkaufen lassen. „Wenn der Kunde in meinem Hoflanden drei Kilo Kartoffeln kauft, will er die auch bekommen und nicht zwei Kilo zum Essen und ein Kilo Abfall“, sagt Maisch. Er hätte die ungenießbaren Früchte theoretisch als Tierfutter oder an Biogasanlagen verkaufen können – wenn er sie vorher vom Schmutz des Ackers befreit hätte. Dann wären die Kosten für Ernte und Reinigung aber höher gewesen als der Verkaufspreis, sagt Maisch.

Die eine oder andere gute Kartoffel liegt noch auf dem Feld

Dass man auf seinen Äckern nördlich der Autobahn 81 zwischen den faulen auch noch die eine oder andere genießbare Kartoffel finden kann, schließt Martin Maisch im Übrigen nicht aus. Wer sich auf die Suche begeben wolle, könne das tun. „Wir haben noch nie jemanden von unseren Feldern vertrieben, wenn er nach der Ernte noch nach essbaren Kartoffeln gesucht hat“, sagt der Landwirt aus Gerlingen. Immerhin in diesem Punkt sind sich Martin Maisch und Klaus Sickinger einig.