Um die Spielstruktur zu verbessern, bleibt dem Trainer Markus Weinzierl vom VfB Stuttgart jetzt eigentlich nur noch eine Option auf der Sechserposition: Benjamin Pavard.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Nach dem Training schnappt sich Santiago Ascacibar einen Ball und übt Torabschlüsse. Das ist immer wieder zu beobachten, so auch nach der Einheit am Mittwochvormittag, die er als einer von drei Spielern neben Andreas Beck und Holger Badstuber bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt wie gewohnt in kurzen Hosen absolviert hat. Während neben ihm Nicolas Gonzalez, Borna Sosa und Erik Thommy noch ein paar Freistöße schießen, bugsiert der defensive Mittelfeldspieler des VfB Stuttgart den Ball aus dem Lauf von der Strafraumgrenze aus in Richtung Ron-Robert Zieler – vor Probleme kann er den Torwart mit seinen Versuchen jedoch nicht stellen.

 

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Der Abschluss ist das größte Defizit von Santiago Ascacibar, weshalb das Zusatztraining ziemlich Sinn hat. In der Kategorie Schuss gehört er zu den schwächeren Spielern in der Fußball-Bundesliga. Deshalb wartet der 21-Jährige, der im Sommer 2017 von Estudiantes de la Plata nach Stuttgart kam, nach 50 Partien für den VfB (48 in der Liga und zwei im DFB-Pokal) und insgesamt knapp 100 Profispielen immer noch auf seinen ersten Treffer.

Das ist grundsätzlich nicht weiter schlimm, weil seine Kernkompetenz eine andere ist. Tacklings sind seine Tore. Der zweikampffreudige, nur 1,68 Meter große Fanliebling Ascacibar ist einer der laufstärksten Spieler der Liga, er rattert und grätscht unermüdlich durchs Mittelfeld. Zuletzt war er dabei allerdings nicht so erfolgreich wie sonst. Die Formkurve des passionierten Gelbe-Karten-Sammlers zeigt vor der Partie am Sonntag (18 Uhr) bei Fortuna Düsseldorf nach unten, das Stuttgarter Spiel läuft an ihm vorbei.

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Bei den Niederlagen zum Auftakt der Rückrunde gegen den FSV Mainz 05 (2:3) und beim FC Bayern München (1:4) sowie dem Unentschieden gegen den SC Freiburg (2:2) ließ Ascacibar die gewohnte Effizienz bei der Defensivarbeit vermissen, machte ungewohnt viele Fehler. Statt ein Stabilisierungsfaktor ist dem viermaligen argentinischen Nationalspieler so zurzeit ein Unsicherheitsfaktor im Mittelfeld.

Die Schaltzentrale ist das zentrale Problem, sie ist die größte VfB-Baustelle – und das nicht erst in den vergangenen Wochen.

Eine Doppelsechs mit Santiago Ascacibar und Christian Gentner wie zuletzt verspricht zumindest per se defensive Absicherung, was aber nicht gegeben war. „Das ist Sechserraum“, sagte Trainer Markus Weinzierl über die Entstehung des frühen 0:1-Rückstandes gegen die Freiburger, als Janik Haberer nach einem zurückgelegten Ball unbedrängt von knapp hinter der Strafraumgrenze einschießen konnte.

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Was eine Doppelsechs mit Ascacibar und Gentner sowieso nur schwer leisten kann, ist ein gepflegter Spielaufbau und damit ein Spielfluss aus der Tiefe des Raumes heraus. Beide haben ihre Qualitäten als Kilometerfresser, aber Defizite als Ballverteiler. Genau so ein Mittelsmann als Bindeglied zwischen Defensive und Offensive fehlt den Stuttgartern schon länger.

Tore entstehen zumeist nur nach genialen Einzelaktionen wie von Anastasios Donis in München oder beim brachialen Anrennen mit dem Mut der Verzweiflung wie gegen die Mainzer und die Freiburger. Gegen die Badener ließ sich der eingewechselte Torschütze Daniel Didavi oft tief fallen, um den Ball abzuholen und das Spiel aufzubauen. Er ist weiter vorne im Mittelfeld jedoch prinzipiell besser aufgehoben.

Ursprünglich war Gonzalo Castro als die ballsichere, umsichtige Anspielstation vor der Abwehr vorgesehen, der Sommerzugang von Borussia Dortmund konnte die Erwartungen jedoch nicht erfüllen. Auch alle anderen Varianten haben nicht gefruchtet. Um die Spielstruktur zu verbessern und das Vakuum in dieser Hinsicht mit Leben zu füllen, bleibt Markus Weinzierl jetzt eigentlich nur noch eine Option auf der Sechserposition: Benjamin Pavard.

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Der französische Weltmeister, der nach der Saison für eine Ablösesumme von 35 Millionen Euro zum FC Bayern wechseln wird, hat nach einem Muskelbündelriss im Oberschenkel jüngst gegen den SC Freiburg erstmals wieder mitgemischt. Er hat unter Weinzierls Vorvorgänger Hannes Wolf zu Zweitligazeiten schon auf der Sechserposition agiert und bringt alles mit, um den VfB in der Schaltzentrale voran zu bringen. Er ist zweikampfstark genug, um vor der Abwehr abzuräumen. Er ist ballsicher genug, um immer angespielt werden zu können. Er ist passsicher und umsichtig genug, um den Ball clever zu verteilen und das Spiel von hinten heraus anzukurbeln.

Etatmäßig ist Pavard Innenverteidiger. Gegen die Freiburger lief er jedoch – so wie im französischen Nationalteam – als Rechtsverteidiger auf. Glücklich war er damit nicht, auch wenn er auf der rechten Seite ein gutes Duo mit Alexander Esswein bildete. Der 22-Jährige sieht sich in der Zentrale. Wenn schon nicht in der Abwehr, dann vor der Abwehr auf der Sechserposition. Dort wäre er auch viel wertvoller für den VfB. Jetzt muss nur noch Markus Weinzierl sagen: Monsieur Pavard, übernehmen Sie!