Der 24-jährige Niederländer Boyan Slat hat ein ambitioniertes Ziel: Er will die Weltmeere von Plastikmüll befreien – mit einer 600 Meter langen schwimmenden Kunststoffröhre. Doch es gibt auch Bedenken und Kritik an dem Projekt.

San Francisco/Stuttgart - Die Idee kam ihm im Urlaub auf der griechischen Insel Lesbos: Beim Tauchen sah Boyan Slat damals so viel Plastik im Wasser treiben, dass er beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Er dachte sich einen Schwimmkörper mit langen Kunststoffarmen aus, der im Wasser treibendes Plastik einsammeln soll. Damals war der Niederländer 16 Jahre alt. Er präsentierte seine Idee bei einem Schülerwettbewerb, kurz darauf bei der Erfinderkonferenz TEDx in seiner Heimatstadt Delft. Während einige Wissenschaftler die Idee damals als Spinnerei abtaten, bekam er über eine Crowdfunding-Aktion im Netz genug Geld zusammen, um seine Idee umzusetzen. Vor fünf Jahren schmiss er sein Studium des Raumfahrtingenieurwesens und gründete das Start-up The Ocean Cleanup.

 

Heute ist Boyan Slat 24 Jahre alt – und aus seiner Idee ist ein einsatzfähiger, schwimmender Müllsammler geworden. Er liegt im Hafen von Almenda: Seit März wurde die 600 Meter lange Kunststoffröhre in der Bucht von San Francisco zusammengebaut und getestet. An diesem Samstag nun soll die U-förmige Anlage aufs offene Meer gezogen werden, knapp 500 Meter vor die kalifornische Küste. Bewährt sich der Prototyp mit dem Namen System 001, will das Team den Müllfänger in einigen Wochen weiter zum sogenannten Great Pacific Garbage Patch schleppen, einer riesigen Ansammlung aus im Meer treibendem Plastik. Bis zu fünf Tonnen Abfall pro Monat soll die Anlage dort einfangen, so die Idee. Innerhalb von nur fünf Jahren könnte das System somit etwa die Hälfte des Mülls im Nordpazifikwirbel abfangen. Bis zu 60 solcher Filtersysteme könnten irgendwann über die Weltmeere schwimmen. Ob dieser hochgesteckte Plan tatsächlich realisierbar ist, soll nun das System 001 zeigen.

Meerestiere sollen unbehelligt bleiben

Die Anlage von Boyan Slat und seinem Team ist eine lange Kunststoffröhre, unter der ein Filtervorhang drei Meter tief ins Wasser hängt. Darin soll sich der Plastikmüll verfangen, Fische und Meerestiere sollen mit der Wasserströmung unbeschadet unter der Anlage hinwegtauchen. Wellen und Strömungen treiben den schwimmenden Müllsammler automatisch dorthin, wo sich auch das Plastik sammelt. Das System ist mit Kameras, Sensoren und Satellitenantennen ausgestattet. Sie sammeln Daten, überwachen die Funktion und senden Informationen an die Zentrale des Projektteams. Alle paar Monate sollen Schiffe dann den eingefangenen Müll abholen und an Land bringen, wo das Plastik, so die Vision, verkauft und recycelt wird.

Fünf Jahre lang hat der Niederländer mit seinem heute mehr als 70-köpfigen Team aus Ingenieuren, Wissenschaftlern und Freiwilligen im holländischen Delft an dem Projekt gearbeitet. Er hat eine Machbarkeitsstudie veröffentlicht, Preise abgeräumt, Expeditionen gemacht, das Konzept auf Kritik hin verändert, Berechnungen durchgeführt, Prototypen gebaut und Testläufe in der Nordsee gemacht. 27 Millionen Dollar hat The Ocean Cleanup bislang schon eingesammelt – von Unternehmen, Privatpersonen, Regierungen. Das System 001 kostet inklusive Wartung etwa 21 Millionen Euro. Bis zu 300 Millionen Euro würde es laut Berechnungen des Teams kosten, das Projekt über zehn Jahre laufen zu lassen. „Der einzige Weg zu beweisen, dass wir den Ozean von Plastik befreien können, ist, rauszugehen und das Aufräumsystem zu installieren“, sagte Boyan Slat ein paar Tage vor dem Start.

Experten und Umweltschützer haben Bedenken

Doch es gibt noch immer viel Kritik an dem Projekt. „Dahinter steckt unglaublich viel Elan und Idealismus“, sagt Greenpeace-Meeresexperte Thilo Maack, „das will ich nicht kleinreden.“ Doch er sieht auch große Probleme. „Etwa 90 Prozent des Plastikmülls treiben gar nicht auf oder nahe der Wasseroberfläche, sondern sinken in die Tiefe“, sagt Maack. Diese Kritik haben in der Vergangenheit auch schon andere Wissenschaftler geäußert. Hinzu kommt, dass große Mengen des Plastiks im Meer bereits in kleinste Mikroplastikteilchen zerfallen sind, die eine Anlage wie jene von Boyan Slat gar nicht einfangen könnte. Slat stelle die wahren Ausmaße des Problems nicht deutlich genug dar, kritisieren Experten und Umweltschützer. Es sei vielmehr gefährlich zu suggerieren, das Plastikproblem lasse sich mit so einer Konstruktion lösen.

Dazu kommt nach Ansicht des Biologen Maack: „Das Projekt Ocean Cleanup geht – wie viele Projekte dieser Art – nicht die Ursache des Problems an. Es ist höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Das Grundproblem sei die Verwendung von Plastik und Verpackungsmüll, der dann eben auch in den Meeren lande. „Die Lösung“, ist Meeresforscher Maack überzeugt, „kann nur in der Vermeidung von Plastikmüll liegen.“ Boyan Slat hat in der Vergangenheit mehrfach auf diese Kritik reagiert: „Die Müllstrudel im Meer gehen nicht von alleine weg.“ Vielmehr würde das teils jahrzehntealte treibende Plastik schon jetzt vielen Meerestieren schaden. Er sehe keinen Widerspruch darin, Plastik aus dem Meer zu fischen und gleichzeitig Müll zu vermeiden.

Gewaltiger Müllwirbel im Pazifik

Experten gehen davon aus, dass jedes Jahr etwa zehn Millionen Tonnen Plastikmüll neu in die Ozeane gelangen. Der Great Pacific Garbage Patch zwischen Hawaii und Kalifornien gehört zu den fünf größten Strömungswirbeln weltweit. Dort sammeln sich gigantische Mengen an Plastikmüll, Fischernetzen und Mikroplastik. Wie viel genau, weiß niemand, und auch nicht, wie groß die Ansammlung wirklich ist. Aber Forscher vermuten, dass es nicht einmal drei Prozent der gesamten Plastikmenge im Meer sind. Auch in Nord- und Ostsee treibt viel Plastikmüll – und führt dazu, dass immer mehr Seevögel Plastikteile aufnehmen oder für den Nestbau verwenden und daran zugrunde gehen. Eine Untersuchung von Greenpeace habe gezeigt, so Maack, dass Mikroplastik entlang sämtlicher deutscher Flüsse zu finden sei.

Der überwiegende Teil des Plastiks in den Weltmeeren stammt allerdings aus fünf Ländern, darunter China und Indonesien. „Statt viel Geld dafür zu investieren, das Plastik aus dem Ozean zu fischen, könnte man es schon an den Mündungen der großen Flüsse in Südostasien abfangen“, sagt Maack. Vielerorts haben Umweltverbände solche Initiativen angestoßen. Und: Am sogenannten Costal Cleanup Day am 15. September sammeln freiwillige Helfer weltweit Müll von den Stränden.

Mehr Infos zum Thema Plastikmüll

Projekte:

Weltweit gibt es inzwischen viele Projekte, die ähnlich wie „The Great Ocean Cleanup“ Plastikmüll aus den Meeren fischen wollen. Da sind zum einen große, müllsammelnde Schiffe wie der Katamaran „Seekuh“. Ein anderes, konkretes Beispiel ist das Projekt „Pacific Garbage Screening“. Es ist aus der Masterarbeit der Architekturstudentin Marcella Hansch entstanden. Dabei soll eine kammförmige Plattform im Meer schwimmende Plastikteile auffangen. Das Projekt befindet sich allerdings erst in der Konzept- und Finanzierungsphase, ein Crowdfunding lief erst an. Bereits finanziert ist die Idee zweier Australier, die sogenannte „Seabins“ für Häfen erfunden haben. Mit einer strombetriebenen Unterwasserpumpe saugt ein treibender Kübel Wasser und damit auch Müll ein. Im Bodenseehafen Altenrhein schwimmt bereits solch ein Eimer.

Forschung:

Wissenschaftler forschen beispielsweise mit einer neuen bakteriellen Enzymvariante, die das Material PET zersetzt, das für Plastikflaschen verwendet wird. Forscher der Universität Portsmouth in England haben vor wenigen Monaten durch Zufall ein Enzym entdeckt, das eine der häufigsten Plastikarten in seine chemischen Bestandteile zerlegen kann. Entstehen könnte daraus mit etwas Zeit ein industriell nutzbarer Prozess, um PET und andere Plastikarten zu zersetzen. Schon 2016 fanden Forscher erstmals ein Bakterium, das in der Lage ist, den Kunststoff zu zersetzen. Intensiv wird außerdem auch an abbaubaren Kunststoffen und an Bioplastik aus erneuerbaren Ressourcen geforscht. Bislang allerdings werden solche Alternativen selbst unter industriellen Bedingungen auch nicht besonders schnell kompostiert.

Vermeidung:

Umweltexperten mahnen, dass die Lösung des Plastikproblems darin liege, Plastik zu vermeiden. Das bedeutet: Beim Einkauf auf Plastiktüten verzichten, Mehrweg-Behältnisse wie Tupperdosen verwenden und Styropor-Boxen für Takeaway-Essen vermeiden. Inzwischen gibt es in vielen Städten nicht nur Unverpackt-Läden oder Marktstände mit unverpacktem Obst und Gemüse, sondern auch Supermärkte, die Tupperboxen für Wurst- und Käse an den Frischetheken annehmen oder Initiativen, die Mehrweg-Kaffeebecher in Cafés zur Verfügung stellen. Auch auf Kosmetikartikel mit Mikroplastikartikeln kann man verzichten. In vielen Städten gibt es außerdem öffentliche Müllsammelaktionen. Infos zu Stuttgart findet man im Netz etwa unter www.sichersauberstuttgart.de

Verbote:

Das Bundesumweltministerium will vor allem Hersteller stärker in die Pflicht nehmen: Wer Verpackungen produziert oder in den Verkehr bringt – beispielsweise Pappbecher für Kaffee, Tragetaschen oder Verpackungen im Versandhandel – muss sich bis Ende des Jahres in ein Register eintragen und damit auch Gebühren an eines der Dualen Systeme zahlen, die das Verpackungs-Recycling in Deutschland organisieren. Diese Regelung ist ein Baustein des neuen Verpackungsgesetzes, das von 2019 an greift. Es soll die Recycling-Quote in Deutschland von derzeit 36 auf 63 Prozent vom Jahr 2022 an erhöhen. Die EU will außerdem Einwegprodukte wie Plastikstrohhalme oder Einweggeschirr verbieten. Deutschland ist in Europa Spitzenreiter beim Verpackungsmüll: Etwa 220 Kilogramm fallen davon jährlich pro Kopf an.