Um das Geschäft mit käuflichem Sex, um die Aussteigerin Sandra Norak und die Ermittlungen zum Stuttgarter Bordell Paradise geht es am Mittwoch im Ludwigsburger Scala. Weshalb findet Scala-Chef Edgar Lichtner es wichtig, all das anzusprechen?

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Formate wie die Reihe „Ethik im Dialog“ tragen dazu bei, dass das Scala jetzt als soziokulturelles Zentrum anerkannt ist und vom Land gefördert wird. Unabhängig davon findet Geschäftsführer Edgar Lichtner: Über Prostitution darf nicht geschwiegen werden.

 

Herr Lichtner, warum sollten sich die Scala-Besucher mit der Prostitution befassen?

Deutschland zählt 1,2 Millionen Bordellbesuche pro Tag. Man findet hier nichts dabei, bei Junggesellenabschieden in den Puff zu gehen, und Begriffe wie ‚Flatrate-Ficken’ sind mittlerweile fast gesellschaftsfähig geworden. Da sollte es uns ein Anliegen sein, darüber zu reden, wo wir beim Thema Prostitution stehen und wie wir unsere Ethik dazu definieren.

Bevor am Mittwoch darüber geredet wird, gibt es den Film „Bordell Deutschland“ zu sehen. Was erwartet die Besucher?

Der Film macht klar, dass Deutschland wegen seiner laxen Gesetzgebung sogar als Bordell Europas gilt. Und der Staat verdient durch die Gewerbesteuer auch noch daran. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wurden Myriaden osteuropäischer Frauen nach Deutschland verschleppt und mussten den Fans zu Diensten sein. Ein Abgrund! Andere europäische Länder sind mit dem nordischen Modell schon viel weiter als wir heute mit dem Prostituiertenschutzgesetz. Das nordische Modell kriminalisiert den Kauf sexueller Dienste. Und es fragt nach der Haltung der Männer zu ihrer Rolle als Freier.

Auf Landesebene tagte gerade der Runde Tisch zum Thema Prostitution. Das Land will Prostituierte besser gegen Ausbeutung schützen und ihre rechtliche und soziale Situation verbessern. Aber im Scala-Publikum werden vermutlich weder Freier sitzen noch politische Entscheider.

Es ist trotzdem wichtig zu zeigen, dass das Thema öffentlichen Widerhall findet. Ich darf daran erinnern, welche Wellen das Thema Sexpuppen letztes Jahr direkt vor Ort, in Freiberg, gespielt hat. Und gerade bei unserer jüngsten Veranstaltung, die sich um den sexuellen Missbrauch in der Kirche drehte – da gibt es mit Korntal und Hoheneck ja auch zwei lokale Brennpunkte –, konnte man erleben: Die Dankbarkeit der Betroffenen, dass die Dinge nicht totgeschwiegen, sondern benannt werden, ist meist groß. Zudem ist der Abend allein durch das hochkarätig besetzte Podium für eine breite Öffentlichkeit spannend. Neben der Aussteigerin Sandra Norak, der Protagonistin des Dokumentarfilms, ist auch Wolfgang Fink dabei. Er war der Hauptsachbearbeiter in der Ermittlung gegen die Betreiber des Stuttgarter Bordells Paradise.

Menschenhandel – mitten in Stuttgart

Der Themenabend läuft in der wiederauferstandenen Reihe „Ethik im Dialog“. Welche Relevanz hat diese Reihe?

Eine große. Die Reihe liefert einen Wissenstransfer, der helfen kann, Meinungen zu überdenken, ohne dass man sich gegenseitig die Köpfe einschlägt. Oft sind die wissenschaftlichen Entwicklungen ja so rasant, dass man eigentlich kaum die Zeit hat, seine ethischen Standpunkte dazu zu entwickeln. In unserer Reihe sprechen Fachleute, Betroffene und Publikum über Themen wie die Genschere Crispr oder sexuellen Missbrauch, beleuchten die moralischen Ebenen, und dann kann sich jeder überlegen, welche Haltung er dazu einnimmt.

Warum forciert das Scala diese Seite des Programms erst jetzt wieder intensiver?

Wir hatten nach der Übernahme des Kulturprogramms in 2000 alle Hände voll zu tun, uns in den Köpfen der Künstler und bei den Agenturen wieder als Gastspielhaus und verlässlicher Partner zu etablieren. Die soziokulturelle Komponente des Hauses konnten wir erst nach und nach entwickeln und entsprechende Netzwerke knüpfen.

Wo steht das Scala in dieser Hinsicht?

Allein im Netzwerk Inklusion LB ist mit mittlerweile 35 Vereinen, Institutionen und Kirchen etwas Großartiges gewachsen, das in tolle Veranstaltungen wie die Lange Nacht der Inklusion mündete. Dass wir das so kontinuierlich aufgebaut haben und viele Menschen einbeziehen, die sonst ein bisschen aus dem Raster fallen, dafür haben wir diesen Sommer die Früchte geerntet. Die Stadt und der Kreis finanzieren das Scala ja mit 360 000 Euro jährlich. Seit Juli sind wir als soziokulturelles Zentrum anerkannt und bekommen auch 180 000 Euro institutionelle Förderung vom Land. Darauf sind wir, gerade weil wir nicht wie andere große soziokulturelle Zentren aus einer breiten Bürgerschaft entstanden sind, ziemlich stolz.

Info: Auf dem Podium sitzen am Mittwoch, 11. Dezember, neben Sandra Norak – sie ist die Protagonistin des Films „Bordell Deutschland“, Loverboy-Opfer und Aussteigerin nach sechs Jahren Prostitution – auch die Psychotraumatologin Ingeborg Kraus und der Hauptsachbearbeiter der Paradise-Ermittlung Wolfgang Fink. Moderatorin ist Hilke Lorenz, Autorin für rechts- und gesellschaftspolitische Themen bei der Stuttgarter Zeitung. Der Beginn ist um 19 Uhr im Scala, Stuttgarter Straße 2.