Judenfeindliche Parolen und Angriffe auf Synagogen: Die Szenen, die sich zuletzt auf Demonstrationen abspielten, alarmieren die Politiker. Auch in Baden-Württemberg sind sie überzeugt, dass es den Protestlern nicht nur um Kritik an Israel geht.

Stuttgart/Berlin - Nach den Ausschreitungen bei Protesten gegen Israel in Baden-Württemberg und anderen Teilen Deutschlands haben Politiker ein hartes Durchgreifen gegen jede Form von Antisemitismus angekündigt. „Wir werden nicht tolerieren, dass auf deutschem Boden israelische Flaggen brennen und jüdische Einrichtungen angegriffen werden“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der „Bild am Sonntag“. „Wer antisemitischen Hass verbreitet, wird die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen.“ Den Polizeien der Länder bot er personelle und materielle Unterstützung an.

 

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Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnte, Straftaten würden hart und konsequent verfolgt. „Wir dulden es nicht, dass unter dem Deckmantel von Kritik an der israelischen Politik blanker Antisemitismus seine hässliche, widerwärtige und abstoßende Fratze zeigt“, sagte er am Sonntag. „Ich finde den Gedanken generell unerträglich, dass sich Jüdinnen und Juden überlegen müssen, ob sie sich öffentlich zu ihrem Glauben bekennen und zu erkennen geben.“

Grünen-Politiker Sckerl prangert „Hass gegen die Jüdinnen und Juden“ an

Auch der innenpolitische Experte der Grünen-Fraktion im Stuttgarter Landtag, Uli Sckerl, zeigte sich überzeugt, dass es den Protestlern nicht nur um Kritik an Israel geht. „Unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Protests gegen die Politik des israelischen Staats verbirgt sich purer Hass gegen die Jüdinnen und Juden, die hier in Deutschland leben“, sagte er am Sonntag. „Sie für die israelische Politik verantwortlich zu machen, ist falsch.“

Angesichts der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Hamas waren am Samstag Tausende Menschen in mehreren baden-württembergischen und anderen deutschen Städten auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit den Palästinensern zu bekunden. Es kam zu Ausschreitungen und Konflikten mit der Polizei und Gegendemonstranten. In Mannheim wurden Polizisten mit Steinen beworfen, nachdem die Versammlungsbehörde die Veranstaltung untersagt hatte. Aus Stuttgart waren Bilder zu sehen, auf denen Menschen Demonstranten abwehrten und Polizisten Demo-Teilnehmer am Boden festhielten. Auch in Freiburg musste die Polizei einschreiten.

Die Veranstaltungen am Samstag gehörten zu mehreren in ganz Deutschland zum „Tag der Nakba“ (Katastrophe) am 15. Mai, an dem die Palästinenser an ihre Flucht und Vertreibung im Zuge der Gründung des israelischen Staates 1948 erinnern. Seit Tagen bekämpfen sich Israel und militante Palästinenser aus dem Gazastreifen auch wieder mit Raketen und anderen Waffen. Der über Jahrzehnte anhaltende Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hatte sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan und nach der Absage der palästinensischen Parlamentswahl zugespitzt.

Vier Polizisten in Mannheim verletzt

In Mannheim wurden laut einem Polizeisprecher vier Beamte leicht verletzt. Zudem habe ein Mann versucht, eine israelische Flagge anzuzünden. Das hätten die Polizisten unterbunden und ihn festgenommen. Ermittelt werde auch wegen eines Banners mit mutmaßlich strafrechtlich relevantem Inhalt. Weil die Corona-Abstandsregeln nicht eingehalten wurden, hatte die Versammlungsbehörde laut Polizei am Nachmittag die Kundgebung mit bis zu 500 Menschen beendet.

Bei einer propalästinensischen Kundgebung in Stuttgart gab es tumultartige Szenen. Im Laufe der Versammlung sei die Stimmung gekippt, teilte die Polizei mit. „„Zwischen Teilen der palästinensischen, kurdischen und türkischen Demonstrationsteilnehmenden“ sei es „zu verbalen Anfeindungen, verbotenen Ausrufen und Provokationen“ gekommen. Nach einer körperlichen Auseinandersetzung seien zwei Tatverdächtige vorläufig festgenommen worden. Es sei - auch nach Flaschenwürfen in Richtung der Beamten - niemand verletzt worden. Danach sei die Kundgebung jedoch beendet worden. Die Zahl der Teilnehmer nannte sie nicht.

Auch in Freiburg sprach die Polizei von teils aufgeheizter Stimmung bei einer ebenfalls von der Initiative „Palästina spricht“ organisierten Kundgebung mit bis zu 600 Teilnehmern. Zuvor waren auf demselben Platz Gottesdienste der jüdischen Gemeinde abgehalten worden. Dabei beleidigte ein 17-Jähriger einen Mann jüdischen Glaubens, wie die Polizei mitteilte. Gegen den Jugendlichen wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

Der baden-württembergische FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke nannte die Demonstrationen „beschämend und inakzeptabel“. Er forderte die Landesregierung auf zu prüfen, welche Organisationen an den Demonstrationen beteiligt gewesen seien und jede Zusammenarbeit mit diesen abzuwägen. „Diese Vorfälle werden ein parlamentarisches Nachspiel haben“, kündigte er an.

Innenminister Boris Pistorius: Antisemitismus umfassender bekämpfen

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) forderte, Antisemitismus umfassender zu bekämpfen: „Wir müssen noch mehr in Prävention und Aufklärung investieren, und zwar bei allen Bürgerinnen und Bürgern, egal ob jung oder alt oder welcher Herkunft.“

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) befürchtet eine Verschärfung der Konflikte, sollte die Gewalt im Nahen Osten anhalten. „Schon jetzt sehen wir eine hohe Emotionalisierung und Mobilisierung vor allem bei arabischstämmigen Jugendlichen, aber auch bei türkischen Rechtsextremisten“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Auch er warnte, es gehe bei den Protesten nicht um Kritik an Israel. „Die verbindende Klammer ist blanker Antisemitismus, den wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats konsequent verfolgen“, sagte Reul.

Der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff plädierte für ein gemeinsames Eintreten von Muslimen und Juden gegen die zunehmende Polarisierung in Deutschland. „Die jüdische und die muslimische Gemeinschaft können viel gemeinsam haben, und an einigen Orten in Deutschland bestehen enge Kontakte zwischen diesen Gemeinschaften“, sagte Issacharoff der „Welt am Sonntag“. Diese Verbundenheit könne viel bewirken. „Das kann auch eine Basis sein, dem aktuell wachsenden Hass gemeinsam entgegenzutreten.“