Die aktuellen Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt haben ihren Ursprung in den Banlieue der französischen Großstädte. Sie sind Symbole für eine verfehlte Migrationspolitik.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Kein französischer Polizist schiebt gerne Dienst in den Banlieue der großen Städte. Die vernachlässigten Vororte sind ein Symbol für all das, was in Frankreich bei der Migrationspolitik falsch gelaufen ist. Immer wieder kommt es zu Unruhen und Aufständen - Arbeitslosigkeit und Gewalt prägen den Alltag. Das Gewaltmonopol des Staates herrscht dort oft nur in der Theorie. Das führt bisweilen dazu, dass auch die Polizisten nicht gerade zimperlich sind bei ihren Einsätzen. Die Bewohner der Banlieue werfen den Ordnungskräften im Gegenzug oft Gewalt und Willkür vor.

 

Adama Traoré stirbt in Polizeigewahrsam

So auch im Fall Adama Traoré. Der Sohn von Einwanderern aus Mali starb 2016 in Polizeigewahrsam. Ein aktuelles Gutachten entlastet die Polizisten und führt Drogenkonsum sowie eine Herz-Vorerkrankung an. Ein Gutachten im Auftrag von Traorés Familie geht davon aus, dass der 24-Jährige erstickt ist - aufgrund äußerer Gewalteinwirkung. Die Gutachten im Fall Traoré und die Demonstrationen in den USA nach dem Tod von George Floyd heizen nun den Protest und die Debatte über Rassismus und Polizeigewalt in Frankreich wieder an. Die Stimmung ist im Moment grundsätzlich aufgeheizt, denn in den vergangenen Wochen während der Corona-Ausgangssperren kam es in den Banlieue immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Neuste Zahlen scheinen den übermäßigen Gewalteinsatz zu bestätigen. Am Montag wurde publik, dass die Zahl der innerpolizeilichen Ermittlungen gegen Einsatzkräfte im Jahr 2019 um fast ein Viertel auf 1460 Fälle gestiegen ist. Grund dafür seien auch die Demonstrationen der Gelbwesten, die oft von Randale begleitet wurden, heißt es in einem Bericht der IPGN (Inspection générale de la Police nationale). Untersucht wird vor allem der Einsatz von Plastikgeschossen (LBD) und speziellen Plastikgranaten (GMD), um die Menschenmengen zu zerstreuen. Der Gebrauch dieser Waffen, der in manchen Fällen zu schweren Verletzungen von Demonstranten geführt hat, wird immer wieder scharf kritisiert.

Frankreich befürchtet Unruhen in den Banlieue

In Frankreich wird befürchtet, dass es zu ähnlich schweren Unruhen kommen könnte wie im Jahr 2005. Damals gab es in den Banlieue blutige Straßenschlachten und der Ausnahmezustand musste ausgerufen werden. Auslöser war der Unfalltod zweier Jugendlicher mit Migrationshintergrund, sie kamen auf der Flucht vor der Polizei im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois ums Leben. Die islamistischen Terroranschläge der vergangenen Jahre haben das Misstrauen zwischen Migranten und Polizisten weiter vertieft. Die Täter selbst waren oft Kinder von Einwanderern, einige kamen aus den berüchtigten Vorstädten.

Schwarze werden häufiger kontrolliert

Im Zuge der aktuellen Proteste wird nicht nur der unverhältnismäßige Einsatz der französischen Polizei vor allem gegen junge Männer mit afrikanischen Wurzeln angeprangert. Das Problem liege viel tiefer, nämlich in den offensichtlich rassistischen Strukturen bei den Einsatzkräften, so der Vorwurf. Rassismus in der Polizei streiten selbst die Polizeigewerkschaften nicht ab. Sie sprechen aber von „Einzelfällen“. Die Gewerkschaft der Nationalpolizei macht rund 30 Rassismus-Fälle pro Jahr geltend. Untersuchungen des konservativen französischen Bürgerrechtsbeauftragten Jacques Toubon haben bereits 2017 ergeben, dass junge Männer, die „als Schwarze oder Araber wahrgenommen werden“, in Frankreich 20 Mal eher kontrolliert werden als andere. Dabei ist „racial profiling“, wie es in den USA heißt, auch in Frankreich verboten. Am Montag hat auch Präsident Emmanuel Macron reagiert. Der Staatschef hat die Regierung aufgefordert, die Vorwürfe aufzuklären.

Die Schwester Assa kämpft für ihren Bruder Adama

Zur Wortführerin der Demonstrationen ist inzwischen Assa Traoré geworden, die wortgewandte Schwester von Adama. „Mein Bruder starb, weil er schwarz war“, ist die junge Lehrerin überzeugt und hat sich aus diesem Grund dem Kampf um „Gerechtigkeit“ für ihren jüngeren Bruder verschrieben. Sie hat inzwischen viele prominente Fürsprecher. Der französischen Filmstars Omar Sy etwa hat eine Petition ins Netz gestellt, die inzwischen fast 200 000 Menschen unterzeichnet haben. „Wir müssen den Mut haben, Gewalttaten der Polizei in Frankreich anzuprangern“, schreibt der 42-jährige Hauptdarsteller aus „Ziemlich beste Freunde“. Der Tod Adama Traorés sei genauso ungerecht und unwürdig wie der von George Floyd.