In Algerien gehen immer mehr junge Menschen gegen das verkrustete System von Präsident Bouteflika und seiner Entourage auf die Straße. Der Greis aber will weiter regieren. Eine Politik-Farce, die nackte Wut erzeugt.

Algier - Wir sind Algerien!“, skandiert die Menge und: „Weg mit dem System!“ Demonstranten schwenken algerische Flaggen und Plakate mit einer durchgestrichenen Zahl Fünf. „Das Volk will den Sturz des Regimes“ und „Bouteflika – hau ab“ hallten durch die Straßen.

 

Algerien erlebt das wohl größte Aufbegehren des Volkes seit Jahrzehnten. „Die Mauer der Angst ist gefallen“, jubelte der bekannte Schriftsteller Kamel Daoud. Zehntausende waren auf den Beinen, um sich den Frust über ihr verrottetes und sklerotisiertes politisches System von der Seele zu schreien. „Ein Wind des Zorns bläst durch das Land“, titelte die Tageszeitung „El Watan“.

Ein Greis, der sich nicht mehr zeigt

Seit der Präsidentenpalast vor drei Wochen ausrufen ließ, der 82-jährige, von einem Schlaganfall gezeichnete Abdelaziz Bouteflika werde für eine fünfte Amtszeit kandidieren, kocht die Volksseele hoch. Vor allem die jungen Algerier, die mehr als die Hälfte der 42 Millionen Einwohner ausmachen, haben genug von den obskuren Ränkespielen ihrer Mächtigen. Das Land sei zu einer weltweiten Lachnummer verkommen, heißt es. Seit Jahren wurde Präsident Bouteflika nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Niemand weiß, was der Greis im Rollstuhl noch mitbekommt – seine letzte öffentliche Rede hielt er 2012 in dem Städtchen Setif. Damals sagte er, die Alten seien erschöpft und müssten den Staffelstab der Nation an die Jungen übergeben. Doch daraus wurde nichts. 2014 kandidierte Bouteflika erneut und wurde ohne einen einzigen Wahlkampfauftritt mit über 80 Prozent der Stimmen gewählt.

Am 18. April will die allmächtige Nomenklatura aus Generälen, Oligarchen und Politikern der Regierungspartei FLN den Hochbetagten erneut für fünf Jahre zum Phantom auf dem Präsidentensessel küren. Dieser dreiste Schachzug brachte das Fass zum Überlaufen. Seither reißen landauf, landab die Demonstrationen, Sit-ins und Scharmützel mit der Polizei nicht mehr ab, während Bouteflika sich seit fünf Tagen für eine „kurze Routineuntersuchung“ in der Universitätsklinik von Genf aufhält. Die Mächtigen wirken vom Ausmaß des Unmuts überrascht. Sie machen finstere ausländische Mächte für die hausgemachten Turbulenzen verantwortlich. „Diese Proteste gegen ein fünftes Mandat haben dubiose Wurzeln“, orakelte Generalstabschef Ahmed Gaid Salah. Der Direktor des Staatsrundfunks, der das landesweite Aufbegehren eisern totschweigen lässt, erklärte, das Ganze werde ferngesteuert, um Algerien zu destabilisieren. Zudem ließ FLN-Chef Mouad Bouchareb, der Bouteflika einmal sogar als Gesandten Gottes anhimmelte, diese Woche drohend verlauten, „der Präsident ist die rote Linie“.

Auch die Funktionäre sind frustriert

Doch auch die FLN-Funktionäre haben offenbar wenig Lust, sich in den nächsten Wochen vor den Karren der offiziellen Jubelkampagne spannen zu lassen. Parallel dazu machen Gerüchte die Runde, der Machtapparat könnte Bouteflika bis zum offiziellen Nominierungsschluss am kommenden Sonntag 24 Uhr doch noch fallen lassen, damit die Unruhen nicht weiter eskalieren und am Ende in eine massive Staatskrise münden.

Wer stattdessen auf den Schild gehoben werden könnte, ist unklar. Die besten Chancen hat möglicherweise der 66-jährige ehemalige Außenminister Ramtane Lamamra. Der ehrgeizige Bouteflika-Bruder Said dagegen scheint aus dem Rennen. Er ist dem aufgebrachten Volk ebenso wenig zu vermitteln wie Premierminister Ahmed Ouyahia, den die Demonstranten offen als „Betrüger“ beschimpfen.