Der ehemalige Lichtenwalder Finanzchef hat Geld der Kommune in die eigene Tasche gesteckt. Dafür wird er zu zwei Jahren Haft verurteilt, die er aber nicht absitzen muss. Der Bürgermeister Ferdinand Rentschler ist von dem Urteil enttäuscht.

Esslingen - Der Lichtenwalder Bürgermeister Ferdinand Rentschler macht aus seinem Unverständnis über das seiner Meinung nach zu milde Urteil gegen seinen ehemaligen Kämmerer Rolf-Dieter R. keinen Hehl. „Ich bin über das Strafmaß enttäuscht, ich hatte auf Haft gehofft“, sagt er am Mittwoch nach der Urteilsbegründung noch im Sitzungssaal 1 des Amtsgerichts Esslingen – eine Ansicht die viele der rund 50 Zuhörer mit ihm teilen. Soeben ist der 63-jährige Ex-Finanzchef der 2700-Einwohner-Kommune auf dem Schurwald vom Schöffengericht unter dem Vorsitz der Richterin Sandra Kubik wegen Untreue in besonders schwerem Fall zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden.

 

Der Angeklagte war mehr als 30 Jahre Kämmerer in Lichtenwald

Die Anklageschrift des Oberstaatsanwalts Matthias Schweitzer hat sich in dem lange erwarteten Prozess voll bestätigt. Demnach hat Rolf-Dieter R. im Zeitraum von August 2012 bis zum Mai 2017 insgesamt rund 274 000 Euro in sieben Tranchen zwischen 9600 und 97 000 Euro von der Gemeindekasse abgezweigt und in die eigene Tasche gesteckt. Es ist nur die Spitze des Eisbergs, die zur Anklage gekommen ist. Denn R., der fast 40 Jahre bei der Gemeinde arbeitete – mehr als 30 davon als Leiter der Kämmerei –, hat sich laut einem Kriminalbeamten im Zeugenstand schon seit 2006 an öffentlichen Geldern bereichert. Doch die dabei unter anderem veruntreuten rund 103 000 Euro seien bereits verjährt.

Bei seinen Taten hat der voll geständige Angeklagte nicht nur seine mit Kontovollmacht und Zeichnungsberechtigung ausgestattete Position missbraucht, sondern auch eine gehörige kriminelle Energie an den Tag gelegt. Er stellte der Gemeinde gefälschte Rechnungen von nicht existierenden, von ihm frei erfundenen Ingenieurbüros und Baufirmen, zweigte das Geld dafür von zwei Konten für die Erschließung zweier Lichtenwalder Baugebiete ab und überwies es auf Konten, die unter dem Namen seines Stiefsohns und dessen Ehefrau eröffnet worden waren.

Konto des Krankenpflegevereins als Zwischenstation genutzt

Von dort floss das Geld schließlich auf sein eigenes Konto. Zudem benutzte er das Konto des örtlichen Krankenpflegevereins, dessen Schatzmeister er war, zu Verschleierungszwecken als Zwischenstation. Dem Verein ist nach Ansicht des Kripobeamten ein Schaden von rund 200 000 Euro entstanden – die dort vom Angeklagten aufgerissenen Löcher konnte dieser irgendwann nicht mehr stopfen. Das Vorgehen des 63-Jährigen war äußerst perfide. Er fälschte mit einem Computerprogramm Urkunden, notarielle Kaufverträge, Firmenstempel und diverse Unterschriften – unter anderem auch jene des Bürgermeisters Ferdinand Rentschler.

Von dem über die Jahre ergaunerten Geld sei nichts mehr übrig, erklärt der erfahrene Ermittler: „Es ist überwiegend auf seinem Konto gelandet und über die Jahre für seinen Lebensunterhalt verbraucht worden.“ Und das „trotz des stattlichen Gehalts“, das der Kämmerer als Oberamtsrat verdient habe.

Der Angeklagte hat ein „unheimlich schlechtes Gewissen“

Rolf-Dieter R. entschuldigt sich bei den Bürgern von Lichtenwald. Es tue ihm leid, er habe ein „unheimlich schlechtes Gewissen“. In der Verhandlung versucht er zu erklären, wie er vom Kämmerer zum kriminellen Betrüger geworden ist. Er habe unter anderem durch den Kauf einer Eigentumswohnung, die Trennung von seiner ersten Lebensgefährtin und die gescheiterten Kandidaturen bei drei Bürgermeisterwahlen – zwei davon in Lichtenwald – „massive Finanzprobleme“ bekommen. Diesen habe er schließlich mit der Teilnahme an Wetten und Pokerspielen beikommen wollen, was natürlich „völlig idiotisch“ gewesen sei, wie er selbst zugibt. Denn der Schuldenberg sei immer stärker angewachsen und er sei zudem der Spielsucht verfallen. Mit dem veruntreuten Geld der Gemeinde Lichtenwald habe er sich aus dem Sumpf ziehen wollen. Doch am Ende sei er „fast erleichtert“ gewesen, als er im Juli 2017 aufflog. Die Taten zu begehen, sei „nicht besonders schwierig“ gewesen, da er zeichnungsberechtigt gewesen sei.

Seitdem ist der 63-Jährige gesundheitlich und gesellschaftlich „erledigt“, wie es der Oberstaatsanwalt ausdrückt. Er ist wegen einer Schuppenflechte zu 50 Prozent schwerbehindert, ist depressiv und hat einen Suizidversuch hinter sich. Er hat seinen Beamtenstatus und damit sämtliche Pensionsansprüche verloren und schon kurz nach der Entdeckung seiner Taten hat er ein notarielles Schuldeingeständnis mit einer sogenannten Zwangsvollstreckungsunterwerfung unterschrieben. Damit wird er finanziell nie wieder auf einen grünen Zweig kommen.

Richterin: Kontrollinstanzen haben nicht funktioniert

Dass er nicht auch noch ins Gefängnis muss, sei in erster Linie der Tatsache zu verdanken, dass ein Großteil der verhandelten Taten bereits lange zurück liege, sagt die Richterin Kubik, deren Urteil den Strafanträgen der Staatsanwalts und der Verteidigung entspricht. Gleichwohl habe der Angeklagte mit hoher krimineller Energie einen immensen finanziellen Schaden angerichtet. Dabei habe ihm aber auch geholfen, dass die „Kontrollinstanzen, sofern sie vorhanden waren, nicht funktioniert haben“, so Sandra Kubik.

Als Bewährungsauflage muss der Ex-Kämmerer 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Das solle er auch als Chance verstehen, wieder am Leben teilzunehmen, so die Vorsitzende Richterin. Denn in der Verhandlung hatte Rolf-Dieter R. auf die Frage nach seinem momentanen Tagesablauf geantwortet: „Ich gehe kaum noch aus dem Haus.“