Mit Fakeprofilen im Internet erschleicht sich ein Mann das Vertrauen eines Teenagers und verführt ihn zum Sex.

Böblingen - Wer Leon Platzek (alle Namen geändert) kennenlernt, hat zunächst nicht den Eindruck, dass man ihn beschützen müsse. Der heute 19-Jährige, schlaksig und groß gewachsen, geht offen auf Menschen zu, ist neugierig, antwortet direkt. Erst später dämmert es den meisten, dass Leon eine Behinderung hat. Weil er einsilbig wie ein Kind spricht, weil er Kompliziertes ignoriert. „Eine Lern- und Sozialstörung“, nennt es ein Psychiater am Böblinger Amtsgericht. Es geht um einen Fall, bei dem ein 30 Jahre älterer Mann Leons Schwäche ausnutzte und ihn auf perfide Weise zum Sex verführte. Der Fall zeigt auch, wie einfach Täter im Internet Opfer finden.

 

Ende 2018 traf Leon auf Heiko. Der Junge arbeitete im Lager einer Behindertenwerkstatt im Landkreis Böblingen. Heiko Maier belieferte in einem Lastwagen den Betrieb mit Maschinenteilen. Zwei Mal in der Woche kam Maiers Lkw, Leon schob auf einer Ameise die Paletten in die Halle. Die beiden kamen sich näher, ein Mal fuhr Leon bei Heiko im Auto mit. „Ich fand ihn süß, seine kindliche Art war genau mein Beuteschema“, sagt der heute 52-Jährige Maier im Gericht. Dass Leon eine Behinderung hat, sei ihm nicht klar gewesen. Denn in der Behindertenwerkstatt arbeiteten ja auch Nichtbehinderte.

Der Angeklagte ist kein Unbekannter

Maier sitzt aufrecht, trägt einen verwaschenen Trainingsanzug, in den Ohren stecken Goldringe. Auf Fragen antwortet er ausführlich, er scheint nichts zu verheimlichen. Als Kind sieht er, wie sich sein Vater mit Alkohol ersäuft, später folgen ihm seine zwei Brüder. Mit Beziehungen tut er sicht schwer. Um Liebe zu finden, bezahlt er „Escortjungs“.

Für das Gericht ist Maier kein Unbekannter. Vor Jahren hatte er Sex mit einem Minderjährigen auf einem Campingplatz, er musste dafür für mehr als zwei Jahre ins Gefängnis.

Um Leon näherzukommen, fasst Maier einen Plan: Mit sieben Fakeprofilen schreibt er ihn bei Facebook an. Es sind Pornodarstellerinnen, deren Bilder und Videos er aus dem Netz fischt. Schnell kommen Angie, Sofie oder Larissa, wie Maier sie nennt, auf den Punkt. Sie wollen Nacktbilder vom 18-Jährigen und bieten ihrerseits Videos von sich. Der Junge stimmt zu, knipst Selfies und stellt sie in den Chat mit dem Namen „Die Geilsten“.

Teenager massiv unter Druck gesetzt

Doch den Frauen ist das nicht genug. Sie wollen, dass er sich mit Maier trifft. „Genierst du dich etwa? Der gibt dir sogar Geld“, schreibt Angie. Der Teenager wird massiv unter Druck gesetzt. Er will den Frauen gefallen und bemerkt nicht die Maskerade dahinter.

Im Dezember stimmt er einem Treffen zu, auch weil Maier ihm dafür 50 Euro bietet. In Leons Wohnheim, wo Menschen mit Behinderung betreut werden, macht der Angeklagte die ersten Nacktfotos. Einige Wochen später kommt es zum zweiten Treffen. Leon will dafür ein Lenkrad für den Computer. Das ist teurer: Es kommt zum Oralsex. Weiter aber will Leon nicht gehen, sagt Nein.

Für das Gericht bleibt bis zum Ende unklar, ob Leon Platzek in der Lage war, sich dem Prozedere komplett zu entziehen. Mehrmals schreibt er in den Chats, dass ihm die Nähe und die Berührungen des Mannes gefallen hätten. Es wird aber auch klar, dass er die Situation nicht durchschaut. Der Angeklagte habe ein leichtes Opfer gesucht und es ausgenutzt, so der Richter. Monate später fliegt der Chat auf, als einem Nachbar Leons Handy in die Hände fällt. Leons Vater wird weiß im Gesicht als er die Bilder sieht. Am nächsten Morgen geht er zur Polizei.

Eine „miese Tour“

Heiko Maier wird wegen Zwangsprostitution, Besitzes von Kinderpornografie und Täuschung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Für das Opfer sei es eine „miese Tour“ gewesen, von deren Folgen es sich vielleicht ein ganzes Leben nicht erholen werde, erklärte das Gericht.