Es ist ein Fall rund um Liebe und Leidenschaft: Ein Mann soll als sogenannter „Loverboy“ Frauen erst die große Liebe versprochen und sie dann in die Prostitution getrieben haben. Jetzt steht er vor Gericht. Der Prozess könnte auch Licht in die Welt hinter den Kulissen des Bordells „Paradise“ in Leinfelden-Echterdingen bringen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Aussicht auf Liebe und Luxus lockte. Ein junger Mann, stark und cool und immer mit dem nötigen Kleingeld. Dazu das verruchte Image einer Gang, deren Leute sich wie harte Rocker geben – auch wenn sie nicht einmal Mofa fahren. Die jungen Frauen mochten das offenbar. Der Mann versprach das große Glück und stellte doch plötzlich Forderungen. Die neue Flamme musste ihre Liebe beweisen und sich anderen Männern für Geld hingeben. Geld, das ihr „Loverboy“ brauchte. Viele machten mit.

 

Die Geschichte klingt nach Liebe und Leidenschaft, die blind machen. Am Mittwoch wird sich eine Institution mit dem Fall beschäftigen, die wenig mit Gefühlswallungen und Leidenschaft argumentiert, sondern deren Aufgabe die nüchterne Analyse ist. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat drei Personen angeklagt, sich des schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und der Zuhälterei schuldig gemacht zu haben.

Der „Loverboy“ soll junge Frauen angelockt haben

Einer davon ist ein „Loverboy“, ein 21-Jähriger, der zur Gang United Tribuns gehören soll. Sein Job soll es gewesen sein, junge Frauen mit seinen Reizen zu locken, um sie später dem horizontalen Gewerbe zuzuführen. Die beiden Frauen, die ebenfalls auf der Anklagebank sitzen, sollen dafür gesorgt haben, dass die Neuen spurten: Als erfahrene Prostituierte sollten sie die jungen Frauen anleiten und darauf achten, dass diese dabeiblieben.

Am Mittwoch beginnt am Stuttgarter Landgericht der Prozess gegen den jungen Mann und die beiden Frauen. Es ist ein Verfahren, das Licht bringen kann in die Welt hinter der bunten Kulisse des Großbordells FKK-Club Paradise in Leinfelden-Echterdingen. Viele blicken gespannt auf diesen Fall, der voraussichtlich nur das erste Gerichtsverfahren in der Sache sein wird. Die Staatsanwaltschaft hat bisher nur die Anklagepunkte in dem nun eröffneten Strafverfahren bekannt gegeben. Welche der 15 Beschuldigten darüber hinaus für weitere Tatvorwürfe in Betracht kommen, ist noch nicht bekannt.

Die Ermittler wittern außerdem Betrug

Mehr als ein Jahr lang ermittelte die Polizei im Umfeld des FKK-Clubs. Das gipfelte im November in einer Großrazzia in mehreren deutschen Städten, auch im Ausland wurden Bordelle und Wohnungen durchsucht. Die Polizei suchte Beweismaterial für die Machenschaften der mutmaßlichen Menschenhändler, für die Verknüpfung mit der Gang United Tribuns und für die Geldgeschäfte des Machers der Bordellkette, Jürgen Rudloff, und dessen Sprecher Michael Beretin. Was die Ermittler wittern, ist der Betrug an Anlegern einerseits. Es sollen immer wieder Gelder eingeworben worden sein, die in weitere Clubhäuser investiert werden sollten. Nach der Razzia teilten die Ermittler mit, es gebe Ansatzpunkte für den Verdacht, dass ein Großteil dieser Summen für private Zwecke benutzt worden seien. Diese Ermittlungen laufen derzeit aber noch.

Die Verdächtigungen gegen die Geschäftsführer in Stuttgart und Saarbrücken sind vor allem deswegen bemerkenswert, weil Rudloff und Beretin sich bisher stets als Saubermänner der Branche zu vermarkten wussten: Rudloff, der selbst zwar nie als Geschäftsführer in Erscheinung trat, aber der Bordellchef des Hauses auf den Fildern ist, tingelte durch die Talkshows dieser Republik. Sein wohl größter Auftritt war ein Jahr vor der Großrazzia bei Talkmaster Günther Jauch in der gleichnamigen Sonntagabendsendung.

Der Chef trat in Fernseh-Talkrunden auf

Rudloffs Pressesprecher Michael Beretin stand ihm da kaum nach. Als „Rotlicht-Experte“ gab er immer wieder seine fundierten Einschätzungen zu einschlägigen Etablissements vor RTL-2-Kameras ab. Die Botschaft des Schwaben-Duos auf den diversen Kanälen: Rudloff und Beretin präsentierten sich als „die Guten“ in der Welt der käuflichen Liebe.

Die Ermittler sahen das anders und nahmen das Haus Ende 2013 ins Visier, bevor sie ausreichend Anhaltspunkte für die Razzia im vergangenen Spätherbst sahen. Zwar sind im Moment all jene im Fokus, die tatsächlich die jungen Frauen ins horizontale Gewerbe brachten, doch dabei steht natürlich die Frage im Raum, was die beiden Herren, die die Saubermänner im Hintergrund gaben, von den Machenschaften in ihren Etablissements wussten.

Einen tiefdunklen Schatten wirft zum Beispiel die Verwicklung der United Tribuns auf die vermeintlich strahlende Welt der Paradise-Betreiber. Die Gang steht von Anfang an im Ruf, vor allem die Rotlichtwelt kontrollieren und hier auch anständig absahnen zu wollen. Ein Blick in die Vergangenheit offenbart das: Die United Tribuns entstanden 2004 in Villingen-Schwenningen. Ihre Begründer, die Brüder Culum, sitzen im Land ihrer Eltern, in Bosnien. Ein internationaler Haftbefehl gegen sie liegt vor.

Die United Tribuns fallen inzwischen häufiger auch außerhalb des Rotlichtbezirks auf. In Stuttgart und der Region erregten sie im Frühjahr mit in der Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikten mit den sogenannten Stuttgarter Kurden Aufsehen. Dabei ging es vor allem um Machtdemonstrationen und Gebietsansprüche.

Beim Landeskriminalamt (LKA) geht man davon aus, dass die United Tribuns in Baden-Württemberg rund 200 Anhänger haben, sagt Sigurd Jäger, der Inspektionsleiter für organisierte Kriminalität. Im Rotlichtmilieu der Altstadt sind sie nach Erkenntnissen des LKA nicht involviert.