Die Verhandlung gegen den ehemaligen FDP-Fraktionschef Bernd Klingler bringt Verstöße gegen städtische Richtlinien ans Licht. Mit Fraktionsmitteln darf keine Parteienwerbung betrieben werden. Die Liberalen müssen wohl 23 500 Euro zurückzahlen.

Stuttgart - Nach dem ersten Tag der Gerichtsverhandlung gegen den früheren Stuttgarter FDP-Fraktionsvorsitzenden und jetzigen AfD-Fraktionssprecher Bernd Klingler stellt sich nicht mehr die Frage, ob er gegen Regeln verstoßen hat, sondern nur noch warum. Unstrittig ist, dass er 12 500 Euro vom Fraktionskonto in bar abgehoben und bei sich aufbewahrt hat, und dass er eine Überweisung von 23 500 Euro veranlasst hat, um 80 000 Fraktions-Flyer zu bezahlen. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass der Angeklagte in Geldnot war und das Geld für sich verwendete.

 

Einlassungen des Politikers lassen auf andere Motive schließen, die aber auch Konsequenzen nach sich ziehen, weil sie gegen städtisches Satzungsrecht verstoßen: Es sei darum gegangen zu verhindern, dass die Fraktion Geld an die Stadt zurückzahlen müsse. Stattdessen wurde es für Wahlkampfzwecke verwendet, was auch unzulässig ist.

Klingler beschrieb vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt sein kreatives Talent, die Fraktion arm aussehen zu lassen. Die Taktik, Budgetmittel vor dem Zugriff des Kämmerers zu schützen, sei bei der Stadt übrigens guter Brauch, erklärte er. Das würden etwa das städtische Hochbau- und das Tiefbauamt auch so halten, konterte er in der Verhandlung den Hinweis der Richterin Karin Langner, das sei aber „kein korrektes Vorgehen“. Er verglich sein Vorgehen mit dem in Behörden bekannten „Dezemberfieber“. Im Rathaus zeigte man sich entsetzt über dieses Rechtsverständnis: Tatsächlich gab es früher hohe Ausgaben am Jahresende, um zu vermeiden, dass die Ansätze fürs nächste Jahr nur deshalb gekürzt wurden, weil man sparsam gewirtschaftet hat. Anders als im konkreten Fall seien die Finanzmittel aber nicht durch rechtswidriges Verhalten der Kontrolle städtischer Prüfer entzogen worden.

Im Mittelpunkt steht die „Satzung über die Finanzierung der Arbeit der Fraktionen, Gruppierungen und Einzelmitglieder des Gemeinderats“. Sie erhalten für ihre politische Arbeit im Rathaus Geld aus der Stadtkasse. Damit können Assistenten und Bürokräfte eingestellt werden. Die Mitarbeiter stehen auf der Lohnliste der Fraktionen, bekommen aber ihr Geld von der Stadtverwaltung, bei der sie angestellt sind. Aus dem Topf werden auch Büromittel, Informationsreisen und Öffentlichkeitsarbeit bezahlt. Das Geld wird in Tranchen im Voraus überwiesen, nicht genutzte Mittel müssen zurückbezahlt werden. Die Satzung schreibt auch vor, dass vor einer Kommunalwahl der Aufwand für Öffentlichkeitsarbeit nicht stark ansteigen darf und regelt auch die Pflicht zur Rückzahlung, falls sich die Personenzahl einer Fraktion verändert, etwa durch die Kommunalwahl oder den Verlust eines Mandats.

Die Leistungen an die Fraktionen sind erheblich. Die 17-köpfige CDU erhält rund 333 000 Euro pro Jahr für ihre Gemeinderatsarbeit. Die Liberalen verloren 2014 aber zwei ihrer sechs Sitze, wodurch sich ihr Budget um 32 546 Euro (zwei Kopfbeträge à 16 273 Euro jährlich) reduzierte. Sie erhielten damals noch die beiden Sockelbeträge von insgesamt 56 472 Euro, die sie dann aber durch den Wechsel von Klingler zur AfD auch noch verloren, weil sie keine Fraktion mehr waren.

Der Angeklagte hat erklärt, für die FDP-Fraktion den Barkassenbestand gesenkt zu haben, um Personalkosten zu sparen. Die Fraktion habe sich 2014 mit nur noch vier Leuten keinen Fraktionsgeschäftsführer mehr leisten können; eine leere Kasse sollte die Stadt überzeugen, den Angestellten unmittelbar nach der Kündigung von der FDP-Lohnliste zu nehmen und im Rathaus anderweitig zu beschäftigen. Dort schütteln die Zuständigen über diese Darstellung den Kopf.

Finanzielle Konsequenzen drohen Bernd Klingler nun nicht nur für den Fall, dass das Amtsgericht den Strafbefehl von 5000 Euro Geldauflage samt einem Jahr Haft auf Bewährung bestätigt oder gar erhöht. Ob es die Flyer nun gab (oder nicht, wie die Staatsanwaltschaft vermutet): allein die Zahlung von 23 500 Euro stellt eine „nicht satzungsgemäße Verwendung von Budgetmitteln“ dar. Das Geld dafür will die Stadt von der FDP-Gruppe zurückhaben – und die will sich bei Klingler schadlos halten, weil er die Bestellung im Alleingang vorgenommen habe. Das bestreitet der Angeklagte. Stadtrat Matthias Oechsner betont, die Fraktion sei von der Verwaltung extra darauf aufmerksam gemacht worden, was an Werbung erlaubt sei und was nicht. In den „Hinweisen zur Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit“ steht, dass mit den Fraktionsmitteln lediglich eine „sachliche Information“ finanziert werden dürfe, aber keine Parteiwerbung. Im gelb-blauen Flyer heißt es allerdings: „Wir werben als FDP für ein liberales und bürgerliches Stuttgart.“ Auch ist „unterstützende Sympathiewerbung einzelner Fraktionsmitglieder“ untersagt – es wurden aber alle Stadträte portraitiert. Davon dass die Publikation „nach Inhalt, Verteiler und Auflagenhöhe einen eindeutigen Bezug zur Fraktion und ihren Mitgliedern hat“, kann bei 80 000 Exemplaren auch nicht die Rede sein; zumal ein halbes Jahr vor der Wahl „keine Steigerung der Auflage“ erlaubt ist. Die Vorgänger-Aktion umfasste 18 000 Exemplare.