Ein Neonazi ist vor dem Landgericht in Freiburg angeklagt. Er soll einen Antifaschisten mit dem Auto umgefahren haben. Jetzt schildern Freunde des Opfers als Zeugen, was sie im Oktober 2010 in Riegel von einem Neonazi wollten.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Im Prozess am Landgericht Freiburg gegen den Neonazi Florian S., dem die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag vorwirft, weil er einen politischen Gegner mit dem Auto umgefahren hat, ist durch die Zeugenaussagen das Geschehen auf dem Pendlerparkplatz bei Riegel klarer geworden. Im Gegensatz zum Angeklagten haben die drei Nebenkläger über die Vorgänge am Abend des 1. Oktober 2011 gesprochen. Der aus Oberkirch (Ortenau) stammende Angeklagte gab über seinen Anwalt lediglich seine Personalien preis und machte wenige Angaben über seine beruflichen Stationen als Verkäufer und Versicherungsvertreter. Der Anwalt von zwei Nebenklägern legte dem Gericht die Frage zur Prüfung vor, ob nicht auch eine Anklage wegen Mord möglich wäre, denn auch politische Motive seien niedere Beweggründe, wenn Andersdenkenden das Lebensrecht abgesprochen werde. Entsprechende Hinweise gebe es in Gewaltfantasien, die der Angeklagte im Internet geäußert habe.

 

Bei dem tätlichen Angriff ist der 21-jährige Auszubildende Alex K. vom Auto des Neonazis erfasst und über das Dach geschleudert worden. Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und äußere Verletzungen, die in der Uniklinik Freiburg behandelt wurden. Der schmächtige junge Mann aus Stuttgart ist trotz einer Reha noch traumatisiert und hat zuweilen Wortfindungsschwierigkeiten. Alex K. war am Nachmittag des 1. Oktober mit Freunden in Offenburg bei einer Demonstration gegen den Neonaziauflauf, der für den 22. Oktober angemeldet war. Zur Finanzierung dieses Vorhabens versammelte sich am gleichen Abend in Bahlingen am Kaiserstuhl die neonazistische Kameradschaft Südsturm Baden zu einer „Soli-Party“, bei der die Neonazis Geld sammeln wollten.

Über Facebook wurde die Neonazi-Party bekannt

Vermutlich über entschlüsselte Facebook-Ankündigungen bekamen die linken Antifaschisten in Offenburg Wind von der Neonaziparty. Acht Antifaschisten beschlossen spontan, mit zwei Wagen nach Riegel im Kreis Emmendingen zu fahren. „Teils aus Neugier“, um „einfach mal zu schauen, wer da ist“ und „um antifaschistische Präsenz zu zeigen“. So die Aussagen von vier Beteiligten im Gerichtssaal. „Einen genauen Plan und so hatten wir nicht“, räumt ein Zeuge ein. Zumindest einer der acht Ortsunkundigen erkannte am Pendlerparkplatz nahe der Autobahn den Angeklagten Florian S. „Ich kannte ihn vom Panzergraben und anderen Fascho-Aufmärschen“, so der Zeuge. Der Panzergraben bei Rheinau-Membrechtshofen ist eine ehemalige Wehrmachtsbastion, an der Neonazis Heldengedenkfeiern und Antifaschisten Gegendemos veranstalten.

Die aus Offenburg nach Riegel gereisten Antifaschisten versammelten sich auf einem anderen Parkplatz, fünf von ihnen gingen über eine Kanalbrücke zum gegenüber liegenden Pendlerparkplatz. Im Laufen zogen sie Sturmhauben, Ninja-Mützen oder T-Shirts über die Köpfe. Einer hatte ein Pfefferspray mitgenommen, „zum Selbstschutz“, wie er sagt. Eingesetzt hat er es nicht. Das Grüppchen war kaum auf der Straße vor dem Parkplatz angekommen, da schoss der silberne Mitsubishi-Colt ihm schon aus der Ausfahrt entgegen. „Mir war klar, dass es einen erwischen wird“, sagte eine 19-Jährige, die zuletzt von der Brücke kam. Möglicherweise hatte noch einer gerufen: „Da ist er!“ Florian S. hatte jedenfalls erkannt, dass die Vermummten nicht seine Partygäste waren. Statt nach rechts zu fliehen, fuhr der Partylotse mit Vollgas in die Gruppe und hob Alex K. über das Autodach. Dieser schlug hart auf die Straße, der Autofahrer fuhr zunächst davon und ließ die schockierten Antifas bei ihrem schwer blutenden und krampfenden Freund zurück. „Ich hatte Angst, dass er stirbt“, sagte seine Freundin. Der Angriffsfahrer kam später mit zwei Beamten der Kripo, Abteilung Staatsschutz, zurück. Der Staatsschutz war zur Beobachtung der Neonazis unterwegs. Eine zufällig auf dem Parkplatz auf eine Kollegin wartende Kinderkrankenschwester leistete Erste Hilfe, bis der Notarzt kam. „Es war ziemlich planlos“, räumte ein Antifaschist ein, man habe nicht einmal gewusst, wie viele Neonazis man antreffen würde.

Die Polizei musste die Diskutierenden trennen

Wie lebensgefährlich es ist, einem – wie Vorstrafen und Prahlereien im Internet nahelegen – gewaltbereiten Publikum „einfach mal so“ entgegenzutreten, hatte man sich vorher nicht überlegt. Noch als der Verletzte auf der Straße lag, kam es zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen mit Gesinnungskameraden von Florian S. Die Polizei trennte die feindlichen Gruppen und konzentrierte sich darauf, die Personalien der Antifaschisten aufzunehmen. Der mehrfach von Zeugen – im Gegensatz zu seiner späteren Aussage, er sei in Panik gewesen – als ruhig, geradezu kalt und gelassen geschilderte spätere Angeklagte wurde weder fest- noch mitgenommen. Seine Aussage machte er später. Der Prozess wird am 2. Juli fortgesetzt.