Ein 21-Jähriger stürmt in das Zimmer eines Mitbewohners mit einem Messer und landet hinter Gittern.

Leonberg - E s ist ein Tag im Juli 2019, der das Leben des damals erst 20-jährigen Yusuf M. (alle Namen geändert) einschneidend verändern sollte. Der gebürtige Afghane lebt damals in der Flüchtlingsunterkunft in der Böblinger Straße in Leonberg. Er hat schon einiges hinter sich für sein noch junges Alter. Mit fünf Jahren flieht er mit seinen Eltern aus Afghanistan in den Iran, besucht dort zwei Jahre die Schule und schlägt sich dann mit Müllsammeln und Hilfsjobs auf Baustellen durch. „Meine Eltern waren drogenabhängig, Crystal Meth und Heroin, sie haben mich zum Arbeiten geschickt, um Geld zu haben“, übersetzt die Dolmetscherin vor dem Böblinger Amtsgericht.

 

Als er volljährig wird, bekommt er einen Brief vom Militär: Entweder zieht er als Soldat in den Syrien-Krieg und erhält einen Pass oder er muss zurück nach Afghanistan. Yusuf M. entschließt sich zur Flucht nach Europa. Er gelangt in die Türkei, von dort weiter nach Griechenland und dann nach Deutschland, wo er über mehrere Stationen in den Kreis Böblingen und dort in die Unterkunft in Leonberg kommt. Zu der Zeit betrinkt er sich häufiger und raucht Marihuana. All das räumt er freimütig vor Gericht ein.

Vier Liter Bier in drei Stunden

Am 14. Juli 2019 wird ihm sein Drogenkonsum indirekt zum Verhängnis: Er kehrt damals gegen 23 Uhr von einem Fest heim, auf dem er seit 20 Uhr nach eigenen Angaben acht Halbe Bier gekippt und einen Joint geraucht hat. „Vier Liter Bier in drei Stunden – Respekt!“, sagt der Amtsrichter Ralf Rose.

Als Yusuf M. angetrunken in der Unterkunft ankommt, pöbelt ihn ein befreundeter Mitbewohner vom Fenster aus an. Zumindest glaubt M. das in diesem Moment. Es kommt zum Wortwechsel, die Sache scheint geklärt.

Doch dann geht Yusuf M. in sein Zimmer, holt ein Küchenmesser, betritt damit das Zimmer des vermeintlichen Pöblers und stürmt auf ihn zu. Der Angegriffene flüchtet geistesgegenwärtig, springt von dem etwa 1,50 Meter hohen Fenstersims – und bricht sich den linken Fuß. Yusuf M. ist immer noch außer sich vor Wut und schlägt mit dem Messer auf die Fensterscheibe ein, sodass diese zerbricht und auch er sich verletzt. Erst dann überwältigen ihn andere Bewohner und rufen die Polizei.

Die stellt bei Yusuf M. 1,4 Promille Blutalkohol fest. „Der Beschuldigte war immer wieder aggressiv und aufbrausend“, sagt ein Polizeibeamter vor Gericht aus. Und er habe in der Nacht gesagt, er würde es wieder tun. Zwar kommt Yusuf M. zunächst wieder auf freien Fuß, doch im November wird er dem Haftrichter vorgeführt. Der Vorwurf: Gefährliche Körperverletzung. Richter Rose fragt M.: „Was war denn das für ein Messer?“, der antwortet: Ein Plastikmesser, mit dem er ansonsten Gemüse schneide. Die Polizei konnte die Tatwaffe jedoch nicht finden. Durch Zeugenaussagen und Fotos vom Tatort rekonstruiert das Gericht den Tathergang trotzdem recht genau: Yusuf M. sei höchstens noch drei Meter von dem geschädigten K. entfernt gewesen, er sei zielgerichtet auf ihn zugegangen, das Messer in der erhobenen Faust.

Vor Gericht zeigt der Angeklagte Reue, auch der Geschädigte gibt an, die Sache sei mittlerweile geklärt, sein gebrochener Fuß wieder verheilt.

18 Monate ohne Bewährung

Die Staatsanwältin will nur eine versuchte und keine tatsächliche gefährliche Körperverletzung erkennen. Sie fordert acht Monate auf Bewährung sowie 100 Sozialstunden. Auch Yusuf M.s Verteidiger sagt: „Wir sollten nicht noch mehr draufhauen, als nötig.“ Doch Amtsrichter Rose verurteilt den Mann zu 18 Monaten Freiheitsstrafe, ohne Bewährung.

Sein Verteidiger kündigt an, in Berufung zu gehen.