15 Autos, laute Musik, mehrere Verstöße gegen Verkehrsregeln, vielleicht sogar Schüsse – ein türkischer Hochzeitskorso durch Ludwigsburg ist im vergangenen Jahr komplett aus dem Ruder gelaufen. Jetzt muss sich ein Trauzeuge vor Gericht verantworten.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Für die vielen jungen Türken war es ein Festtag, den sie gebührend und nach den Bräuchen ihrer Kultur feiern wollten. Aber auch viele Ludwigsburger mit nicht-türkischen Wurzeln werden diese Hochzeit bis heute nicht vergessen haben, wenn auch aus ganz anderen Gründen: Nicht wegen der Freude, die die riesige Festgesellschaft an dem schönen Tag im Juli des vergangenen Jahres bei ihrem Autokorso durch die Stadt verströmte, sondern wegen der Gefahr, die offenbar von der Wagenkolonne ausging. Dass die Sache ein juristisches Nachspiel haben würde, musste den Feiernden damals klar gewesen sein. Zu wild war der Korso, und gegen zu viele Regeln der deutschen Verkehrsordnung haben sie verstoßen. Sogar Schüsse sollen aus den fahrenden Autos abgefeuert worden sein.

 

Jetzt hat am Ludwigsburger Amtsgericht der Prozess gegen den Trauzeugen des Bräutigams begonnen. Der Tatvorwurf: Nötigung. Der 21-Jährige Deutsch-Türke soll mit seinem BMW-Cabrio die Zufahrt zu einem Kreisverkehr blockiert haben, damit die Festgesellschaft, die aus einer anderen Richtung in den Kreisel einbog, freie Bahn in die City hatte. Dass er mit der Aktion einen erheblichen Rückstau provozierte, in dem dann auch noch ein Krankenwagen feststeckte, hat ihn – so jedenfalls schildern es mehrere Zeugen vor Gericht – wohl nicht gekümmert.

Angeklagter präsentiert völlig andere Version

Ähnliche Vorfälle haben in den vergangenen Monaten in vielen deutschen Städten Aufsehen erregt. Der junge Mann indes streitet vor Gericht alle Vorwürfe ab: „Das war keine Absicht“, beteuert er. Sein Auto sei wegen eines technischen Defekts plötzlich einfach stehen geblieben. Dass er deswegen zahlreiche Unbeteiligte an der Weiterfahrt gehindert habe, tue ihm sehr leid. Die Staatsanwältin glaubt ihm das nicht, und auch der Richter lässt früh in der Verhandlung durchblicken, dass er skeptisch ist.

Als erster Zeuge berichtet ein Polizeibeamter, was an dem Tag los war – eine ganze Menge. Um 15 Uhr war die Festgesellschaft mit rund 15 Autos, geschmückt mit türkischen Fahnen und besetzt mit festlich gekleideten Menschen, vom Stadtteil Grünbühl in Richtung Innenstadt aufgebrochen. Schon recht bald, so der Polizist, hätten die ersten besorgten Bürger angerufen. Die Feiernden hätten während der Fahrt laut musiziert, gejubelt, Fotos gemacht, sich aus den Fenstern gelehnt und diverse Verkehrsregeln ignoriert. Mehrere Beobachter haben zudem berichtet, dass junge Männer mit Pistolen Schüsse in die Luft abgegeben hätten. In der Wilhelmstraße gelang es der Polizei, einen Teil der Kolonne zu stoppen, die restlichen Fahrzeuge schafften es bis in die Ludwigsburger Weststadt. Erst dann war der Spuk vorbei.

In einem Gebüsch liegen Patronenhülsen

Zwar wurden später in einem Gebüsch am Rand der Wegstrecke Patronenhülsen gefunden, aber in den Autos waren keine Waffen. Eventuell, spekuliert der Polizeibeamte, hätten die Schützen sie vor der Durchsuchung rechtzeitig weg geschafft. Die Schüsse allerdings sind in diesem Prozess nur ein Randaspekt, denn der Angeklagte steht nicht im Verdacht, einer der Schützen zu sein. Im Zentrum steht die Blockade des Kreisverkehrs.

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Eine junge Frau, die wegen der Blockade im Stau stand, berichtet, dass der Angeklagte gezielt die Zufahrt angesteuert und seinen Wagen quer davor platziert habe, sodass von dieser Seite „niemand mehr durchkam“. Erst drei bis vier Minuten später sei dann der Korso eingetroffen. Sie sei sogar ausgestiegen und habe versucht, mit dem Mann zu sprechen, doch er habe sie gar nicht beachtet, sondern der Hochzeitsgesellschaft zugejubelt – und sich, als alle Autos den Kreisel passiert hatten, dem Korso angeschlossen. „Meiner Meinung nach hatte der keine Panne.“

Auch ein Rettungswagen war wegen der Blockade eingekesselt

Auch die Fahrer des Rettungswagens waren mehrere Minuten in dem Stau eingekesselt. Ihr Glück war, dass sie in dem Moment nicht auf dem Weg zu einem Einsatz waren. Was auch dem Angeklagten zugute kommt. Hätte er mit seiner Aktion Rettungssanitäter auf dem Weg zu einem Notfall behindert, müsste er mit einer weit härtere Strafe rechnen.

Wobei der junge Mann sowieso bis zum Ende des ersten Verhandlungstages bei seiner Version bleibt: Man habe nur, nach türkischem Brauch, die Braut aus ihrem Elternhaus abgeholt und die Hochzeit feiern wollen – ohne jemanden zu stören. Dass sein Auto ausgerechnet im Kreisverkehr zum Stehen gekommen und später dann doch wieder angesprungen sei, sei reiner Zufall. Als Beleg dient ihm der Bericht einer Werkstatt, nach dem die Kraftstoff-Pumpe des Autos tatsächlich defekt war.

Was diese Bescheinigung wert ist, soll am nächsten Verhandlungstag Ende September ein Sachverständiger klären. Auch in diesem Punkt steht der Verdacht im Raum, dass der Mann nicht die Wahrheit sagt. Der Angeklagte ist ein selbstständiger Autohändler und offenbar eng mit dem Besitzer der Werkstatt bekannt, die den Bericht angefertigt hat.