Das Amtsgericht Nürtingen spricht einen Tierarzt frei. Eine 35-Jährige hätte deutlicher klarmachen müssen, dass sie keinen Sex will.

Nürtingen - Hat eine 35-Jahre alte Frau deutlich genug gesagt, dass sie keinen Sex mit einem 66-Jährigen wollte? Das hat sie nicht. Zu diesem Schluss ist das Amtsgericht Nürtingen gekommen. Der Tierarzt aus einer Esslinger Kreiskommune hatte wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Am Ende gab es jedoch einen Freispruch für den Beschuldigten.

 

Nach dem Sex den Kaninchen die Krallen geschnitten

Der Vorfall spielte sich Ende Juni 2017 in der Tierarztpraxis und den sich oberhalb befindlichen Privaträumen des 66-Jährigen ab. Es war an einem Dienstag, erinnerte sich die 35-Jährige in der Verhandlung, als sie mit zwei Kaninchen zum Krallenschneiden in die Praxis kam. Den Tierarzt kannte sie gut, denn sie hatte dort vor circa 15 Jahren eine Ausbildung als Tierarzthelferin gemacht. Mit ihrem früheren Chef habe sie bereits in der Lehre mehr als eine rein berufliche Beziehung verbunden. Schon damals habe sie mit ihm Sex gehabt, sagte die vierfache Mutter jetzt aus. Und schon damals sei sie nicht immer mit dem einverstanden gewesen, was der Chef mit ihr anstellte. Doch sie habe es über sich ergehen lassen, so wie auch an jenem Tag vor rund anderthalb Jahren.

Nachdem sie die Praxis betreten hatte, passierte laut ihrer Schilderung Folgendes: Sie ging durch die Praxisräume, um eine Katze zu streicheln, die sie auf einer Treppe entdeckt hatte. Dort hielt sich auch der Tierarzt auf, der gerade telefonierte. Der 66-Jährige soll die 35-Jährige die Treppe hinauf in seine Wohnung dirigiert haben. Dabei habe sie Nein gesagt und sich am Geländer festgehalten. Dennoch folgte sie ihm nach oben, ging mit ihm ins Bad, und beide zogen sich jeweils selbst die Hose aus. Er streifte sich ein Kondom über, dann kam es zum Geschlechtsverkehr. Nach dem Verkehr stutzte der Tierarzt den Kaninchen die Krallen, und sie verließ die Praxis.

Warum hat die 35-Jährige nicht einfach laut geschrien?

Warum sie denn nicht laut gerufen oder geschrien habe, um ihre Ablehnung zu äußern, wollte die Richterin Sabine Lieberei wissen. Denn im Treppenbereich trennte die heute 35-Jährige nur eine angelehnte Tür von dem Raum, in der eine Angestellte der Praxis gerade mit einem der Kaninchen beschäftigt war. Sie habe vermutet, dass ihr Ex-Chef einen Kunden am Telefon hatte und habe nicht durch einen Schrei stören wollen. Zudem fühle sie sich dem Tierarzt unterlegen, und ihrer Erfahrung nach sei es besser, alles über sich ergehen zu lassen, „dann ist es schneller vorbei“.

Solche Erklärungsversuche ließen indessen weder die Richterin noch die Staatsanwältin gelten. Letztere rückte in ihrem Plädoyer vom Vorwurf der Vergewaltigung ab und beantragte aufgrund der dünnen Beweislage einen Freispruch. Für den Angeklagten sei nicht klar erkennbar gewesen, dass die 35-Jährige keinen Sex mit ihm wollte. Dafür hätte die Frau resoluter auftreten müssen, befand Sabine Lieberei.

Erotische WhattsApp-Nachrichten ausgetauscht

Geschwächt wurde die Anklage auch durch eine Reihe von E-Mails und Whats App-Nachrichten erotischen Inhalts zwischen der 35-Jährigen und dem 66-Jährigen. Zudem trafen sich die beiden auch mindestens einmal in der Wohnung der verheirateten Frau. Laut dem Tierarzt war der Geschlechtsverkehr zwischen den beiden einvernehmlich. „Ich bin entsetzt über die Vorwürfe, mehr ist nicht zu sagen“, so der 66-Jährige.