Ein Rentner versucht, einen Gerichtsvollzieher hinauszuwerfen – und steht deswegen vor Gericht. Dessen Rechtmäßigkeit erkennt er allerdings nicht an. Im Internet betreibt der Mann eine Reichsbürger-Webseite.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Waiblingen - Der Rentner kommt gut vorbereitet. Vor ihm liegt ein praller, mit Jahreszahl beschrifteter Aktenordner. Immer wieder macht er sich Notizen. Wenn er das Wort ergreift, rattert er Paragraphen und Vorschriften in geübtem Juristen-Singsang herunter. Was ihm am Ende nichts nützt: Das Amtsgericht Waiblingen befindet ihn des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig.

 

Im Juli 2017 – zu diesem Schluss ist das Gericht am Montag gekommen – versuchte er, einen Gerichtsvollzieher aus einem Mehrfamilienhaus in Winnenden zu werfen. Dieser wollte bei ihm säumige Schulden eintreiben und hatte sogar einen Haftbefehl dabei, für den Fall, dass der Rentner sich weigerte, an Eides statt zu versichern, dass bei ihm nichts zu holen sei. Zunächst packte der Rentner den Gerichtsvollzieher am Oberkörper und versuchte, ihn hinauszuschieben. Als dies nicht gelang, ließ er ihn ein – nur ins Schlafzimmer wollte er alleine gehen, weswegen es an der dortigen Tür noch einmal zu einer Rangelei kam.

Der Rentner kassiert ein Ordnungsgeld

Laut eigener Darstellung hatte er versucht, die Privatsphäre seiner Ehefrau zu schützen, die noch im Bett lag. Der Gerichtsvollzieher, so der Angeklagte, hätte sich weder ausgewiesen noch ihm gesagt, weswegen er gekommen sei. Der Vollzieher war ihm allerdings bereits bekannt: Es war nicht der erste Besuch bei dem hochgewachsenen Rentner. Dieser verweigerte die eidesstattliche Versicherung, obwohl sie ihm den Haftbefehl erspart hätte.

Bereits in den vorherigen Verhandlungstagen war der Mann aufgefallen: Unter anderem bemängelte er den Einsatz eines Richters auf Probe, bezichtigte ihn der Befangenheit und unterbrach ihn oft – und bekam deswegen ein Ordnungsgeld von 300 Euro aufgebrummt.

Reichsbürger-Webseite gibt Aufschluss über Überzeugungen des Angeklagten

Der Angeklagte hält Richter – das ist an seiner E-Mail-Adresse zu erkennen – grundsätzlich für Verbrecher. Auch wenn der Rentner beteuert, kein Reichsbürger zu sein: Er betreibt eine Webseite über den „Unrechtsstaat BRD“. Dort heißt es unter anderem, die Bestimmungen im Grundgesetz hätten „keine Rechtskraft“. Doch das hindert ihn am Montag nicht daran, ebendieses heranzuziehen, als er behauptet, das Verfahren gegen ihn verstoße dagegen.

Der Rentner sieht sich auf einer großen Mission: „Wenn ich hier Recht bekäme, müssten die für ein paar Tage dicht machen. Ihre Urteile könnten sie dann in die Tonne treten“, meint er in einer der Pausen zu einem Bekannten im Publikum. Das Urteil nimmt er mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen entgegen. Als der Richter sagt, er sehe bei ihm keine günstige Sozialprognose, lacht er. Dennoch bleibt seine Strafe weit unter den Vorstellungen des Staatsanwalts: Dieser hatte zuvor 45 Tagessätze à 15 Euro gefordert. Der Richter belässt es bei 20 Tagessätzen.

Auf jeden Fall werde er in Berufung gehen, kündigt der Rentner an. Auf seiner Webseite rühmt er sich seiner Erfahrungen „in locker 200 Gerichtsverfahren, teils über mehrere Instanzen hinweg, mit denen ich in den letzten etwa 30 Jahren aktiv war“.

Reichsbürger im Rems-Murr-Kreis

Sogenannte Reichsbürger bezweifeln die Souveränität der Bundesrepublik, erkennen das Grundgesetz nicht als gültige Verfassung an und halten die Behörden in der Region immer wieder auf Trab. Im vergangenen Sommer hatte das Landratsamt Waiblingen angekündigt, sogenannte Staatsangehörigkeitsausweise nur nach Nachweis eines triftige Grundes auszustellen, nachdem Reichsbürger das Papier, das ihnen als einzig wahrer Nachweis der Staatsbürgerschaft gilt, inflationär beantragt hatten.

Im Sommer zuvor hatte sich ein Polizist gezwungen gesehen, einem Reichsbürger in die Reifen zu schießen, als der bei einer Verkehrskontrolle losfuhr und einen Beamten mitschleifte. Laut dem Polizeipräsidium Aalen leben im Rems-Murr-Kreis knapp 100 Personen, die die Polizei der Reichsbürgerszene zurechnet – in allen drei Landkreisen, für die das Präsidium zuständig ist, sind es insgesamt etwa 200.