Ein 24-jähriger Unfallverursacher steht vor Landgericht Stuttgart, weil er seine beiden schwer verletzten Mitfahrer zurückgelassen hat. Ihm wird von der Staatsanwaltschaft versuchter Mord durch Unterlassen vorgeworfen.

Esslingen - Hat der Verursacher eines heftigen Verkehrsunfalls in Esslingen im Juni vergangenen Jahres seine beiden schwer verletzten Mitfahrer ihrem Schicksal überlassen? Ließ er sie am Unfallort liegen, ohne Hilfe zu holen – allein um ungeschoren aus der Sache herauszukommen? Das sind Fragen, die die 9. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart seit diesen Montag beantworten will.

 

Für den 24-jährigen, mehrfach vorbestraften Mann auf der Anklagebank steht viel auf dem Spiel, denn sein Verhalten nach dem Unfall ist von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft als „versuchter Mord durch Unterlassen“ angeklagt. Zudem muss er sich wegen fahrlässiger Körperverletzung, Straßenverkehrsgefährdung und Fahrerflucht verantworten.

Audi A 5 vom Vater „ausgeliehen“

Fragen will der junge Mann nicht zulassen. Zu seiner Person und zur Sache lässt er seinen Anwalt jeweils Stellungnahmen verlesen. Fest steht, dass er am frühen Morgen des 3. Juni vergangenen Jahres auf der Esslinger Alleenstraße mit dem fast neuen Audi A 5 seines Vaters unterwegs gewesen war und in einer Kurve die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hatte. Er kam von der Fahrbahn ab und raste laut der Anklage mit rund 50 Stundenkilometern gegen einen Baum. Auf dem Beifahrersitz saß sein heute 23 Jahre alter Freund, den er schon seit Kindertagen kennt. Hinten rechts hatte dessen 20-jähriger Kumpel Platz genommen. Das Trio war schon den ganzen Abend und die Nacht zusammen in Stuttgart unterwegs gewesen – in einer Diskothek. Auf dem Rückweg machten sie kurz Halt vor einem Bordell in Esslingen-Zell, das allerdings schon geschlossen hatte. Doch nahm eine Überwachungskamera vor dem Etablissement die Stippvisite der drei Männer auf. Den Audi A 5 des Vaters hatte der 24-Jährige nur über seinen Bruder ausleihen können. Der hatte auf dessen Bitte vorgeben, den Wagen zu nutzen, weil der Angeklagte seinerzeit mit seinem Vater im Clinch lag.

Auf der Heimfahrt fuhr er offensichtlich zu schnell und verursachte kurz nach 5.30 Uhr den schweren Unfall, bei dem er selbst einigermaßen glimpflich davon kam. Die beiden Mitfahrer erwischte es weit schwerer. Der 20-Jährige im Fond erlitt unter anderem diverse Knochenbrüche und eine Hirnblutung – er war lebensgefährlich verletzt. Der Beifahrer konnte noch selbstständig aus dem Wagen kriechen und brach mit schweren Brustkorb- und Wirbelsäulenprellungen neben dem stark demolierten Auto zusammen.

Dass er es war, der die beiden Mitinsassen durch seine aggressive Fahrweise so schwer verletzt hat, schien den Angeklagten laut der Staatsanwaltschaft nicht zu kümmern. Er flüchtete zu Fuß, ohne sich um diese zu kümmern oder Hilfe zu holen. Ob der Fahrer – ebenso wie seine beiden Mitfahrer – betrunken war, ist unklar. Sie geben beide an, sich nicht mehr erinnern zu können. Ihre Gedächtnislücken vor Gericht sind groß, sie hätten zudem kein Interesse daran, den Unfallfahrer zu belasten. „Ich wünsche ihm nichts Schlechtes“, sagt der 20-Jährige.

Kleinem Tier ausgewichen?

Der Angeklagte, der als Beruf „Currywurst- und Hähnchenverkäufer“ angibt, beteuert via Stellungnahme, er habe damals keinen Alkohol im Blut gehabt. Von der Straße sei er abgekommen, weil er einem „kleinen Tier“ ausgewichen sei. Zudem habe er danach mit seinem Bruder telefoniert, welcher sich seiner Meinung nach darum gekümmert habe, dass die Polizei und der Rettungsdienst informiert wurden. Außerdem habe ein weiterer Autofahrer angehalten und sei ebenso zu Hilfe gekommen wie Anwohner der Alleenstraße. Er habe zudem den Eindruck gehabt, die beiden Männer seien „okay“ gewesen. Er sei davongelaufen, weil er den Zorn seines Vaters gefürchtet habe. Die Anklage geht jedoch davon aus, er habe den Tod der Schwerverletzten „billigend in Kauf“ genommen.

Weil ihn Schmerzen plagten, sei er in eine Klinik gegangen, wo er schließlich festgenommen wurde. Von 6. Juni bis 19. Oktober 2018 saß er in Untersuchungshaft. Weil die Kammer am Landgericht zunächst keinen Tatverdacht für ein vorsätzliches Tötungsdelikt erkannte, verwies sie den Fall an das Amtsgericht Esslingen. Bei der dortigen Verhandlung im März sah die zuständige Richterin durchaus Merkmale des versuchten Mordes als erfüllt und verwies das Verfahren zurück ans Landgericht. Der Prozess wird fortgesetzt.