Vor dem Landgericht Stuttgart steht eine Frau, die ihren Säugling im Wahn getötet haben soll. Eine Fachärztin hat erklärt, wie sich die Wahnvorstellungen schon früher gezeigt haben.

Stuttgart - Sie wollte es nicht wahrhaben und hatte dennoch eine Ahnung, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Zahlreiche Warnsignale sowie eindeutige Hinweise von Ärzten und Bekannten wehrte sie jahrelang ab, gab sich nach außen hin angepasst, bis sich Ende Mai vergangenen Jahres die Krankheit Bahn brach und die Frau im Wahn ihr Baby mit zahlreichen Stichen tötete. Vor der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart hörten die Prozessbeteiligten am Mittwoch das Gutachten der Sachverständigen.

 

„Die Tat ist Ausfluss der paranoiden Schizophrenie, unter der die Angeklagte seit mindestens zehn Jahren leidet“, sagte Roswita Hietel-Weniger, die mit der Angeklagten zahlreiche Gespräche geführt und ärztliche Unterlagen ausgewertet hat. Ausführlich erläuterte die Fachärztin des Zentrums für Psychiatrie in Weissenau im Gerichtssaal die Symptome, Erscheinungsformen und Auswirkungen dieser krankhaften seelischen Störung, die Wahn und Halluzinationen kennzeichnen.

Fabelwesen erteilte ihr Befehle

Stimmen hätten ihr befohlen, ihre zweimonatige Tochter zu töten, erzählte die 29-jährige gebürtige Somalierin, die als Säugling mit ihren Eltern nach Deutschland kam, vor Gericht. Dass es in einer solchen Psychose kein Halten mehr gibt, verdeutlichen die Schilderungen einiger Polizeibeamten als Zeugen: Brust und Bauch des Babys waren mit 15 brachialen Einstichen übersät.

Immer wieder hätten ihr Stimmen von einem Dschinn - einem Fabelwesen der arabischen Mythologie – Befehle erteilt oder ihr Handeln kommentiert, hatte die Angeklagte auch der Gutachterin berichtet. Erste Vorläufersymptome meldeten sich der Fachärztin zufolge, als die Angeklagte von der Hauptschule auf ein Gymnasium wechselte „Einerseits waren da die Anforderungen der Eltern, möglichst angepasst hier zu leben, andererseits der enorme Leistungsdruck, den sie sich selbst auferlegt hat.“ Immer wieder habe sich die junge Frau selbst in Situationen gebracht, die sie eigentlich überforderten. „Dabei beflügelt Stress diese Krankheit enorm.“

Der Druck nahm nach der Heirat zu

Die junge Frau schaffte dennoch das Abitur und begann ein Studium, dass sie jedoch aufgrund der gesundheitlichen Probleme unterbrach, und nahm dann eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin auf. Zur gleichen Zeit lernte sie einen jungen Landsmann kennen und hatte den Plan, zu heiraten und Kinder zu bekommen. „Die Partnerschaft, die anstehenden Prüfungen und die Ablösung vom Elternhaus schufen erneut eine Situation, in der die Krankheit wieder Fahrt aufnahm“, erläuterte die Ärztin weiter.

Ihr Mann, der nach eigenen Aussagen an die Existenz des Dschinns glaubt und davon ausgeht, dass dieser Menschen stark verändern kann, brachte sie zu zwei Hodschas, islamischen Religionsgelehrten, die der Frau Anweisungen erteilten. Der Druck nahm weiter zu, als die Frau unmittelbar nach der Heirat schwanger wurde.

Zu Plan B kam es nie

Während die Eltern der Frau und später ihr Ehemann zwar von den Problemen wussten, gleichwohl nichts unternahmen, mahnte die Vermieterin der Wohnung mehrfach und eindringlich vor einer schweren Krankheit und deren Folgen, nachdem sich der Ehemann ihr eines Tages anvertraut hatte. „Sein Plan A war der Hodscha, Plan B, zu dem es nie kam, dann ein Mediziner“, berichtete die 51-Jährige sichtlich mitgenommen im Gerichtssaal. Während ihren Schilderungen spricht die Angeklagte immer wieder leise mit ihrer Verteidigerin.

Eine mehrjährige Unterbringung zunächst in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik ist nach Überzeugung von Hietel-Weniger unablässig. „Noch immer hat die Angeklagte sich nicht mit der Krankheit auseinandergesetzt, muss die Beziehung geklärt und ihre Fähigkeit, ein eigenständiges Leben zu führen, aufgebaut werden.“ Allein Medikamente einzunehmen, reiche nicht aus. „Über zehn Jahre hat sie alles abgewehrt, um nicht psychisch krank zu erscheinen, das hat sich manifestiert und ist nicht so schnell umzuwandeln.“

Der Prozess wird am 4. November mit der Anhörung weiterer Zeugen fortgesetzt.