Im Prozess um eine Gruppenvergewaltigung in Freiburg versichert der einzige von elf Angeklagten, der sich überhaupt zu den Beschuldigungen äußert, dass das 18-jährige Opfer geradezu um Sex gebeten habe

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Der Prozess am Landgericht stößt mit seinen 11 Angeklagten, ebenso vielen Verteidigern, drei Sachverständigen, 20 Justizwachtmeistern, den Richtern, Vertretern der Nebenklage und weiteren Verfahrensteilnehmern nicht nur an die Grenzen des größten Saales. Bereits nach drei Prozesstagen ist der Terminplan aus den Fugen geraten, die Anreise der in verschiedenen Strafanstalten untergebrachten Angeklagten wird zuweilen durch Staus verzögert und nachgereichte Akten bringen die Verteidiger ins Schwitzen. So viel Neues sei das nicht, entgegnete der Vorsitzende Richter. Er mahnte die Verteidiger, sich ausreichend Zeit für ihr Mandat zu nehmen. Das Klima unter den Juristen am vierten Verhandlungstag bekam eine leicht bissige Note, die Entscheidung über die Widersprüche gegen den Antrag der Nebenklage, das mutmaßliche Opfer der Gruppenvergewaltigung solle nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern auch nur per Videozuschaltung erfolgen, weitete sich zu einem halbstündigen zähen Ringen aus.

 

Die Verteidiger bestritten nicht, dass der zur Tatzeit 18 Jahre alten Studentin ein „Wiedersehen“ mit den elf mutmaßlichen Vergewaltigern eine Belastung wäre. Gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit haben die meisten keine Einwände. Aber: „Eine persönliche Vernehmung hat Vorrang, zumal dann, wenn Aussage gegen Aussage steht“, erklärte die Rechtsanwältin Jutta Palm. Die mutmaßliche Geschädigte solle „so viel Vertrauen in das Gericht aufbringen, dass sie keine unmittelbaren Angriffe zu befürchten hat.“ Über den Antrag der Nebenklage und die Widersprüche dagegen, wird das Gericht unter Vorsitz von Richter Stefan Bürgelin erst am Donnerstag entscheiden.

Nur ein Angeklagter ist bereit, eine Aussage zu machen

Was die mutmaßliche Geschädigte zu erwarten hat, lässt die Aussage des Angeklagten Timo P. erahnen. Der 25-Jährige, der in Wiesbaden geboren ist und in Freiburg wohnt, ist der einzige Deutsche unter den Beschuldigten. Und auch der einzige, der überhaupt bereit ist, zur Sache auszusagen.

Er sei am 14. Oktober 2018 in die Diskothek in der Hans-Bunte-Straße im Freiburger Industriegebiet Nord gefahren, nachdem er zuhause mit seiner Freundin und deren Freundin schon getrunken und gekifft habe. Viereinhalb Halbliter-Dosen Bier, dazu noch ein anderes alkoholisches Getränk. Gegen 0.30 Uhr kam das Trio in die Diskothek, dort traf Timo P. auf den Kumpel Majd H. (22). Der habe ihm von „Stress“ erzählt, und dass eine junge Frau im Wäldchen neben der Disko liege und angeblich Sex wolle. Er sei, sagt Timo P. zu der Frau gegangen und habe sie gefragt, ob sie sich anziehen und zurück in die Disko wolle. Doch sie habe sich aufgerichtet, ihn am Kragen gepackt und sei ihm an die Hose gegangen. Daraufhin sei er „schwach geworden“ und habe sich von ihr oral befriedigen lassen. Danach habe er ihr erneut angeboten, sie zurückzubringen, aber sie habe nach mehr verlangt, was er ihr verweigert habe. Er habe sie dann zurückgelassen und sei zu seiner Freundin in die Diskothek und habe sich „volllaufen lassen“. Später habe er seiner Freundin ohne Details gestanden „fremd gegangen“ zu sein, doch die habe ihm verziehen und sei mittlerweile mit ihm verlobt. Er wolle „mit ihr Kinder machen“ und hoffe, nach seiner Aussage nun auch rasch auf freien Fuß zu kommen.

Nach der Tat habe es Andeutungen gegeben

„Das sehe ich ganz anders“, wischte Richter Bürgelin diese Illusion vom Tisch. Er vertiefte sich über zwei Stunden in den Vergleich diverser Vernehmungsprotokolle und der aktuellen Ausführungen von Timo P.. Dabei kristallisierte sich heraus, dass der Sohn drogenabhängiger Eltern sich gut mit Substanzen auskennt und sie selbst reichlich konsumiert hat. „Sie war hundert Prozent auf Ecstasy“, will er bei der jungen Frau im Wäldchen sofort erkannt haben. Ihre Pupillen seien typisch erweitert gewesen, man sehe nach der Pille aus „wie eine Eule“ und sei willig zum Sex. Zurück in der Diskothek habe sein Kumpel gefragt: „Was machen wir mit ihr, die will gar nicht mehr aufhören?“ Wie viele dann raus gingen, sich an dem Mädchen vergingen oder nicht, will er wegen seines Zustandes – „ich musste mich mehrfach übergeben“ – nicht mehr so genau wissen, aber er habe einige gefragt, die er kannte und die hätten Ja gesagt. Auch Tage danach, bis kurz vor der Verhaftung habe man sich getroffen und es gab Andeutungen.

Der Angeklagte vermutet, das Video sei gelöscht worden

Auch darüber, dass es ein Video der Tatnacht gäbe. Gesehen hat Timo P. es nicht, aber er deutete auf einen der Mitangeklagten, von dem wüsste er es. Dieser schüttelte heftig den Kopf, so wie bei etlichen Aussagen. Er, sagt Timo P. aus, habe dringend geraten, das Video aufzuheben, um bei der Polizei einen Beweis in der Hand zu haben. „Wir haben nichts zu befürchten, es war ja alles einvernehmlich“, habe er den Kumpels gesagt. Später vermutete er, dass das Video doch gelöscht wurde, weil es ihnen nicht zum Vorteil gereicht hätte.

Wie glaubwürdig und verwertbar die einzige Aussage zur Sache am Ende gewertet wird, muss sich zeigen. Zunächst steht der Bericht der Kriminalpolizei über ihre Ermittlungen an. Wie der neue Terminplan nach den Verschiebungen aussieht, wird demnächst bekannt gegeben.