Das Verhalten von Günter H. ist ungewöhnlich: Er verbirgt sich stets vor dem Beginn eines Prozesstages unter einer Jeansjacke. Und der Angeklagte ergreift häufig selbst das Wort: Dabei stellt er meist umständlich Fragen an Zeugen, um sich zu entlasten.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart - Seit sechs Verhandlungstagen arbeiten die Richter der Ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht den Fall der beiden Kofferleichen auf, die am 1. Juni 2014 im Unteren Schlossgarten gefunden worden waren. Und jedes Mal beginnt der Prozess mit einem sonderbar wirkenden Verhalten des Angeklagten. Günter H. muss in den Gerichtssaal zu seinem Stuhl geführt werden, weil er nichts erkennen kann. Er besteht darauf, auf dem Weg zu seinem Platz seine Jeansjacke über seinen Kopf gelegt zu bekommen. Schon am ersten Prozesstag hatte er erklärt, dass er Angst davor habe, fotografiert zu werden. Und auch während der Verhandlungstage blickt er stur geradeaus.

 

Folgt der Angeklagte dem Prozess überhaupt? Ja.

Auf den ersten Blick macht Günter H. daher den Eindruck, dass er dem Geschehen nicht folgen will. Dabei sind die Vorwürfe gegen ihn ungeheuerlich: Die Staatsanwaltschaft wirft dem 48-Jährigen vor, in der Nacht zum 30. Mai 2014 in seiner Wohnung in Gablenberg bei einem Saufgelage zwei Bekannte ermordet zu haben. Aus Eifersucht habe Günter H. zunächst den Obdachlosen Peter G. (50) umgebracht, der mit Sylvia C. zusammen war. In die 47 Jahre alte Arbeitslose, die ebenfalls in der Obdachlosenszene am Ostendplatz unterwegs war, sei Günter H. verliebt gewesen, so der Staatsanwalt. Und als diese nach dem Mord an Peter G. die Avancen des Angeklagten abgewiesen habe, sei der 48-Jährige ausgerastet und habe die Frau ebenfalls getötet.

Fast zehn Ermittler und Sachverständige wurden in dem Prozess bereits als Zeugen gehört. Dabei wurde deutlich, dass der Angeklagte nur vermeintlich abwesend wirkt. Offensichtlich war dies vor allem, als eine Rechtsmedizinerin die Verletzungen aufführte, die die Leichen aufwiesen – zahlreiche Stich- und Schnittverletzungen. Als Günter H. das Fragerecht hatte, bohrte er nach: Ob die Rechtsmedizinerin mitbekommen habe, dass den Toten nachträglich Verletzungen hinzugefügt worden seien, möchte der Angeklagte wissen. Und ob sie Hinweise dafür habe, dass die Kühlkette von der oberflächlichen Leichenbeschauung bis zur Obduktion unterbrochen worden sein könnte? Günter H. formuliert dabei sehr umständlich. Auch in diesem Fall war die Vorsitzende Richterin Regina Rieker-Müller hilfsbereit und präzisierte den Wortschwall des Angeklagten. Als die Sachverständige aussagte, dass es keine Hinweise für Manipulationen gebe, nickt der Angeklagte nur kurz. Die Antworten scheinen ihn resignieren zu lassen.

Günter H. ist im Heim aufgewachsen und Maurer

Schon bei Prozessbeginn hatte Günter H. von einem Komplott gesprochen. Die Polizei tue alles, ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben. Seine Wohnung soll nur der Tatort gewesen sein. Er habe aber nichts mit den Morden zu tun. Sylvia C. habe Peter G. erschlagen und den Leichnam malträtiert, Später habe sie sich selbst stranguliert. Weil er gewusst habe, dass alles daraufhin deute, dass er der Täter sei, habe er die Leichname in den Park geschafft.

Günter H. ist in einem Heim aufgewachsen und hat die Sonderschule besucht. Wegen Autodiebstählen erhielt er eine 27-monatige Jugendstrafe, 2008 wurde er wegen Körperverletzung verurteilt. Beruflich machte er den Maurerabschluss. Nach seiner Entlassung arbeitete er in dem Beruf, war dann von 1993 bis 2003 als selbstständiger Finanzkaufmann in Dresden. Danach zog er nach Stuttgart. Dort erfolgte der Absturz in die Arbeitslosigkeit und in den Alkohol. Eine achtjährige Beziehung endete im Streit. Mit Hartz IV, Gelegenheitsjobs und mit dem Verkauf von Mobiliar aus Entrümpelungen schlug er sich durch. Als seine Wohnung durchsucht wurde, habe man erst geglaubt, dass es sich um einen Laden handele, so ein Polizist.

Gutachten der Obduktion erwartet

In den Prozess ist ein psychiatrischer Gutachter involviert. Zunächst soll am Dienstag aber eine Rechtsmedizinerin aussagen, die die Leichname obduziert hat. Dabei wird auch die Frage zur Sprache kommen, ob Sylvia C. noch gelebt hat, als sie die Stichverletzungen erlitt. Günter H. hatte eingeräumt, sie einmal mit einem Messer aus „Frust und Wut“ in den Rücken malträtiert zu habe – als die Frau schon tot war.