Im September eskaliert im Bietigheimer Bürgergarten die Gewalt: Ein 19-Jähriger soll auf Unbeteiligte eingestochen haben, weil die einen Streit beenden wollten. Vor Gericht präsentiert sein Verteidiger eine andere Version der Geschehnissen – und erhebt Vorwürfe gegen die Ermittler.

Bietigheim-Bissingen/Heilbronn - Es klingt wie ein Horrorszenario: Unbeteiligte greifen in einen handfesten Streit zweier Männer ein – und bezahlen ihre Zivilcourage beinahe mit dem Leben, weil einer der Streithähne mit einem Messer auf sie einsticht und sie schwer verletzt. So bewertet die Heilbronner Staatsanwaltschaft das, was an einem Freitagabend im vergangenen September im Bietigheimer Bürgergarten passiert ist. Der 19-Jährige, der zugestochen haben soll, präsentierte zum Prozessauftakt gegen ihn am Freitag vor dem Heilbronner Landgericht allerdings eine ganz andere Version des Abends – und sieht sich als Opfer.

 

Sein Mandant habe in Notwehr gehandelt, sagte sein Anwalt, der Stuttgarter Strafrechtler Andreas Baier. Er erhob schwere Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft, „wo Missstände passiert sind“. Die Ermittler hätten seinem Mandaten nie zugehört, obwohl dieser von Anfang an erklärt habe, dass er in Notwehr handelte. In der Anklage fänden sich Behauptungen, „die schwierig sind“. Baier kündigte an, einen Freispruch für den 19-Jährigen erwirken zu wollen.

Zwei Männer werden schwer verletzt

Unstrittig ist, dass der junge Mann an dem fraglichen Abend mit einem Freund im Bürgergarten nahe der Enz unterwegs war. Dort trafen sie auf einen damals 22-Jährigen, mit dem der Angeklagte „noch etwas zu klären hatte“. Aus dem Gespräch wurde eine wüste Schlägerei, wobei die Anklage davon ausgeht, dass der 19-Jährige ein Klappmesser mit einer sieben Zentimeter langen Klinge zog, um seinen Kontrahenten einzuschüchtern. Das bestreitet der 19-Jährige, der eine Ausbildung zum Speditionskaufmann macht.

Noch unterschiedlicher sind aber die Versionen dessen, was danach passierte: Die Staatsanwaltschaft will herausgefunden haben, dass zwei Unbeteiligte, die rund 20 Meter von der Schlägerei entfernt standen, den Streit schlichten wollten und sich deshalb zwischen die Kontrahenten drängten. Bei einem Gerangel seien die damals 21 und 22 Jahren alten mutmaßlichen Streitschlichter zu Boden gegangen – wo sie der 19-Jährige brutal angriff. Mit Messerstichen in den Hals und den Oberkörper habe der Angeklagte den Tod seiner Opfer mindestens in Kauf genommen, heißt es in der Anklage, nur „rein zufällig“ sei keine der teils 15 Zentimeter langen und bis zu vier Zentimeter tiefen Wunden tödlich gewesen. Der Rettungsdienst musste beide Männer ins Krankenhaus bringen.

Die mutmaßlichen Schlichter hätten selbst angegriffen

Ein Messer spielt auch in der Erinnerung des 19-Jährigen eine Rolle, die er am Freitag schilderte – allerdings hatte seiner Meinung nach einer der mutmaßlichen Streitschlichter ein solches in der Hand. In der Version des Angeklagten war sein Streit mit dem 22-Jährigen nämlich bereits längst beendet, als aus einer entfernt stehenden Gruppe sechs Männer auf ihn zu gerannt seien. Eine der Männer habe ihn aus vollem Lauf mit einem „Sprungkick gegen die Brust“ niedergestreckt und sei dann seinerseits mit einem Messer auf ihn zugelaufen, während andere aus der Gruppe auf ihn, am Boden liegend, eingetreten hätten.

Nur, um sich selbst zu schützen, habe er dann sein eigenes Messer aus der Hosentasche gezogen und damit herumgefuchtelt, schilderte der Bietigheimer. „Von gezielten Stichen kann keine Rede sein“, erklärte sein Anwalt. Er ist der Meinung, sein Mandant habe die Klinge nur eingesetzt, um die Angreifer auf Abstand zu halten. Dass sie dabei verletzt werden könnten, habe er vielleicht in Kauf genommen. „Es gab aber keinen Tötungsgedanken.“ Als die Angreifer von seinem Mandanten abgelassen hätten, habe dieser selbst die Polizei gerufen.

Warum hatte der Angeklagte ein Messer dabei?

Fakt ist, dass die Beamten den 19-Jährigen nach kurzer Fahndung festnehmen konnten. Seither sitzt er in Untersuchungshaft, obwohl sein Anwalt bei einem Haftprüfungstermin dagegen vorgehen wollte. Dieser verlief aber, ebenso wie die Ermittlungen, gar nicht nach dem Geschmack von Andreas Baier, weshalb er sich am Freitag nicht mit Kritik an der Justiz zurückhielt.

Abgesehen von derlei Scharmützeln fiel auch dem Verteidiger keine plausible Antwort auf die Frage ein, warum sein Schützling am Tatabend überhaupt ein Messer mit in den Bürgergarten brachte – obwohl er seinen Kontrahenten zufällig getroffen haben will. Ein Messer, dass der 19-Jährige wenige Stunden zuvor gekauft hatte.

In den kommenden Prozesstagen werden die vermeintlichen Streitschlichter als Zeugen gehört, in der Hoffnung, dass sie zur Aufklärung des Falls beitragen können. Ein Urteil fällt Ende April.