Eine Mutter erzählt vor dem Landgericht Stuttgart, wie sie die Drogensucht ihres Sohnes durchlitt. Er ist wegen Brandstiftung angeklagt, aber womöglich schuldunfähig.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Für das Geräusch, das Norbert Winkelmann von sich gibt, kennt die deutsche Sprache kein Wort. Es ist eine Mischung aus Vokal und Umlaut, irgendwo zwischen U und Ä. Der Richter am Stuttgarter Landgericht hat bei der Verhandlung am Dienstag an einem Pullover gerochen, der mit Benzin begossen worden war, wohl am 7. Juni. Er ist in einem Plastikbeutel verschlossen, wie üblich bei Beweisstücken.

 

Der Geruch ist ein Indiz dafür, dass der Angeklagte versucht hatte, das Haus seiner ehemaligen Vermieter in einer Kommune im Kreis Böblingen in Brand zu setzen. Ein Molotowcocktail war auf die Terrasse geworfen worden. Der Schaden blieb gering. Die Familie löschte die Flammen, aber die Anklage lautet auf versuchte schwere Brandstiftung. In der Hauptsache verhandelt das Gericht allerdings die Frage, ob der Angeklagte zwangsweise in eine Psychiatrie muss. „Wir müssen auch an die Allgemeinheit denken und daran, ob man ihm helfen kann“, sagt Winkelmann.

Vor seiner Verhaftung hat der Angeklagte jede Therapie verweigert

Der Satz ist an die Mutter des Angeklagten gerichtet. Sie sitzt an diesem Prozesstag im Zeugenstand. Gemessen an dem, was sie erzählt, sollte ihr Sohn sich helfen lassen. Dies hatte er vor seiner Verhaftung verweigert – entgegen der Hoffnung der Mutter. Einmal sprang er auf dem Weg zur Klinik aus dem Auto.

Auch die Staatsanwaltschaft glaubt, dass der junge Mann schuldunfähig ist, wegen einer paranoiden Schizophrenie, ausgelöst durch Drogen. Als 17-Jährigen hatte die Mutter ihren Sohn erstmals erfolglos zum Cannabis-Entzug geschickt. „Ich habe als Mutter meinen eigenen Sohn nicht mehr wiedererkannt“, sagt die Frau. Stets hilfsbereit sei der Junge gewesen, freundlich, verbindlich, zu ihr, seiner Großmutter, zu Freunden und Fremden. Den Realschulabschluss hat er geschafft, lustlos, aber immerhin. Ein psychiatrischer Gerichtsgutachter bestätigt, der Angeklagte sei „zielstrebig, ehrgeizig, von hoher Arbeitsmoral“. Er ging auch gern in die Kirche, wenn auch weniger aus religiösen Gründen. „Er hat dort seine Ruhe gefunden“, sagt die Mutter.

Die Verfolger sah und hörte niemand außer ihm

Ruhe vor Verfolgern, die niemand sah, niemand hörte, außer ihm. Er nannte sie „die Fresser“ und war überzeugt, sie wollten seine Seele fressen oder gleich ihn selbst. Gegen schädliche Strahlung schirmte er sein Bett mit Alufolie ab, sich selbst mit nassen Handtüchern, „damit er schlafen kann“, sagt die Mutter – wenigstens gelegentlich ein bisschen. Neben den Drogen habe dauerhafte Schlaflosigkeit den Geist ihres Sohnes verwirrt.

Mal saß er stundenlang da, unansprechbar. Mal brüllte er sie minutenlang an. Dann „habe ich Angst vor meinem eigenen Sohn gehabt“, sagt die Frau, „das waren nicht seine Augen“. In einer jener Nächte riet ihr der psychiatrische Notfalldienst, ihn keinesfalls ins Haus zu lassen. Er stand bei sieben Grad minus ohne Jacke vor der Tür. Wenn sie die Polizei rief, „hat sich der Schalter umgelegt, und er war wieder ganz der Souveräne“. Die Beamten rätselten dann vermutlich, wer hier der Spinner sei: Sohn oder Mutter.

Manches war aber wohl real. Denn nebenbei lässt der Prozess vermuten, dass mancher Vermieter mit fragwürdigen Mitteln versucht, Mieter loszuwerden: 2017 war dem Angeklagten seine Wohnung erstmals gekündigt worden. Nachdem er vor Gericht seinen Auszug verhinderte, mehrten sich laut der Mutter Lärm, Strom- und Heizungsausfälle. Sie habe dies selbst erlebt. „Es war, als wüssten die Vermieter immer, wann er nach Hause kommt.“ Immerhin dies ist erklärbar: An der Hauswand hing eine Kamera.

Der Prozess wird fortgesetzt, das Urteil soll am 12. Dezember fallen.