Die Bundesregierung möchte Pflichtverteidiger schon bei Verhören der Polizei zulassen. Dagegen wehren sich die Bundesländer in seltener Eintracht. Verfahren würden länger und komplizierter, so ihre Befürchtung.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Die Zeit drängt. Bis zum 25. Mai muss Berlin eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen, die Prozesskostenhilfe für Verdächtige und Beschuldigte in Strafverfahren vorsieht. Das ist komplizierter als gedacht. Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums findet bei der Anwaltschaft zwar weitgehend Zustimmung, wird von den Bundesländern allerdings entschieden abgelehnt. Verfahren würden massiv länger dauern und teurer werden, so deren Befürchtung.

 

Der Entwurf sieht vor, dass Beschuldigte künftig vom ersten Verhör an einen Anwalt zur Seite gestellt bekommen. Bisher gibt es Pflichtverteidiger in der Regel erst im Prozess oder im Falle von Untersuchungshaft. Die Bundesländer argumentieren in seltener Eintracht gegen diesen Vorschlag. Berlin schieße „an entscheidenden Stellen“ über die europäischen Vorgaben hinaus, und zwar „deutlich“, heißt es zum Beispiel in der Stellungnahme aus dem Justizministerium in Baden-Württemberg. Das Haus von Guido Wolf befürchtet – ebenso wie andere Justizministerien – eine höhere Arbeitsbelastung für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte.

Prozesskostenhilfe gibt es im Strafrecht nicht

Hintergrund ist eine besondere Systematik im deutschen Prozessrecht. Um ihr Recht vor Gericht durchsetzen zu können, bekommen Personen, die sich keinen Anwalt leisten können, Prozesskostenhilfe. Dies gilt allerdings nur für Zivilprozesse, im Strafrecht gibt es so etwas nicht. Ob ein Pflichtverteidiger bestellt wird oder nicht, ist keine Frage der finanziellen Bedürftigkeit. Ein Beschuldigter bekommt dann einen Pflichtverteidiger, wenn ein Fall der so genannten „notwendigen Verteidigung“ vorliegt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Verhandlung vor einem Landgericht stattfindet, wenn ein Verbrechen vorgeworfen wird oder wenn ein Berufsverbot droht.

Bei der Idee, die europäische Richtlinie in deutsches Recht zu transformieren, hat das Justizministerium an dieser Systematik festgehalten. Einen Pflichtverteidiger schon im ersten polizeilichen Verhör soll es nur dann geben, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist. Gerade dies, so die Kritik der Länder, sei jedoch von einem Polizeibeamten gar nicht überprüfbar. Weit weniger kritisch sieht der Deutsche Anwaltverein (DAV) die geplanten Änderungen. In weiten Teilen wird der Referentenentwurf begrüßt. Dabei stehe nicht das Wohl der Anwälte im Vordergrund, sondern „rechtsstaatliche Überlegungen“, heißt es beim DAV. Dass die Ermittlungstätigkeit erschwert werden könne räumt man ein – verweist aber darauf, dass die Rechte der Beschuldigten „von Anfang an“ gewahrt bleiben.

Wer sich durchsetzt ist noch unklar

Wer sich letztlich durchsetzt ist zur Stunde noch unklar. Bei einer Bund-Länder-Sitzung hatten die Landesjustizminister vor wenigen Tagen ihre Bedenken in Berlin hinterlegt. „Ich bin guter Dinge, dass das Bundesjustizministerium auf Grund der kritischen Stellungnahmen nun eine Regelung erarbeitet, die das deutsche Strafverfahren nicht unnötig verkompliziert und verlängert“, sagt Landesjustizminister Guido Wolf unserer Zeitung. Dieser Optimismus ist auch nötig: Im Gesetzgebungsverfahren selber müssen die Länder dem Vorhaben nicht zustimmen.