Die Verfilmung von „Terror“ widerspricht moderner Bilddramaturgie und ist doch ein Publikumsmagnet. Rund sieben Millionen Zuschauer sehen in der ARD das Gerichtsdrama. Dass sie mehrheitlich für einen Freispruch des angeklagten Pilosten stimmen, ist kaum überraschend.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Berlin - Eines steht fest: Das Stück funktioniert. Der lange ARD-Fernsehabend am Montag hat es erneut bewiesen: Ferdinand von Schirach, der eben nicht nur ein versierter Münchner Strafverteidiger, sondern auch ein gewiefter Bestsellerautor ist, hat mit „Terror“ ein Werk geschaffen, das in ganz ungewöhnlicher Weise ein großes Publikum für sehr anspruchsvolle Fragen zu interessieren weiß – für Fragen der Ethik, der Rechtsprechung, der Gerechtigkeit, unserer Verfassungswerte.

 

Denn um all dies geht es ja zum Schluss von „Terror“: Darf ein Pilot der Luftwaffe auf eigene Verantwortung ein Flugzeug mit einem Terroristen und ansonsten 164 unschuldigen Passagieren aus der Luft abschießen, bevor der Attentäter die Maschine in ein Stadion mit 70 000 Fußballfans stürzen lässt? Eigentlich so gar nicht das klassische Thema für die Fernseh-Primetime um viertel nach acht. Aber am Montag haben 6,9 MillionenZuschauer in Deutschland, Österreich und der Schweiz just diese Frage erörtert. So etwas muss man erst mal schaffen – und deswegen sollte man dies auch erst einmal anerkennen.

Eigentlich ist „Terror“ ja ein Theaterstück, in jüngerer Zeit vielfach an deutschen Bühnen inszeniert. Und wer eine dieser Inszenierungen schon selbst erlebt hat – zum Beispiel in der vergangenen Saison am Alten Schauspielhaus in Stuttgart –, wird in aller Regel mit den gleichen Eindrücken aus dem Abend gehen: Faszierend, wie es gelingt, dieses an sich völlig spröde und undramatische Geschehen einer Gerichtsverhandlung so zu verdichten und so zuzuspitzen, dass man den langen Befragungen und den noch längeren Plädoyers mit wachsender Spannung folgt.

Juristisch korrekter Ablauf ohne Sperenzchen

Eigentlich widerspricht „Terror“ jeder modernen Bilddramaturgie. Nicht umsonst ist die Serie „Das Fernsehgericht tagt“ (nur die älteren Zuschauer erinnern sich noch) schon lange im TV-Museum verschwunden. Lars Kraume, der Regisseur des ARD-Abends, hat gut daran getan, sich dennoch ganz dem juristisch korrekten Ablauf des Abends ohne großen Sperenzchen unterzuordnen. Nur so wurde er dem Ernst des Projekts gerecht.

Schlussendlich haben sich rund 87 Prozent der deutschen TV-Zuschauer am Montagabend dafür entschieden, den Piloten freizusprechen. Das war keine Überraschung, denn auch in den Theatervorstellungen spricht sich die Mehrheit der Zuschauer fast immer für Freispruch aus. Dies allerdings liegt nicht nur am Thema – und hier kann und muss die Kritik am Schirach-Stück und am Film ansetzen. So völlig offen, wie er behauptet, konstruiert der Autor seinen Prozess nämlich doch nicht, und so völlig offen und objektiv ließ dann auch der Regisseur Lars Kraume die Dinge nicht.

Der Aufbau der Befragungen der Zeugen und des Angeklagten ist dramaturgisch so aufgebaut, dass sie sich auf die Version des Piloten hin zuspitzt. Die Position der Staatsanwaltschaft ist besetzt mit einer kühl, sachlich, belehrend, immer wieder harsch argumentierenden Frau; in der ARD-Produktion hat Martina Gedeck dies schlüssig gespielt. Der Verteidiger dagegen ist ein anfangs recht stoffelig auftretender, aber gerade dadurch lebens- und menschennah wirkender Chaot; auch dies mit Lars Eidinger sehr gut besetzt. Es ist klar, wohin da spontan die Emotionen der Zuschauer wandern – und dies ist natürlich auch dem Autor Schirach klar, der, wie gesagt, ja selbst Strafverteidiger ist.

Regeln des Rechtsstaats versus Rechtsgefühl der Bürger

Und vollends wird der Sack im Grunde schon zugemacht, wenn man die Rolle des angeklagten Piloten mit Florian David Fitz besetzt, dessen treue, dunkle Augen via Kamera grenzenlos bedröppelt den Blick des Zuschauers treffen. Wer mag als Beobachter und Schöffe über einen derart netten, adretten jungen Mann schon brüsk den Stab brechen? Ach ja, die kalte Staatsanwältin natürlich? Es hat schon seinen Grund, warum die Tradition der Geschworenenverhandlung im deutschen Recht keinen Platz gefunden hat.

Letztlich, muss man vermuten, ist es eben doch nicht einfach nur das Ziel des Bestsellerautors Ferdinand von Schirach, uns mit komplexen juristisch-politischen Problemen zu konfrontieren. Letztlich geht es ihm wie schon in seinen Romanen („Schuld“) auch in „Terror“ darum zu zeigen, dass die Regeln des Rechtsstaats und das subjektive Rechtsgefühl des einfachen Bürgers oft weit auseinander liegen.

Hierin steckt natürlich eine Gefahr, die Gefahr des ganzen Projekts. Wer erklärt dem „Terror“-Zuschauer zum Schluss, dass es diese Kluft tatsächlich in vielen Fällen gibt, wir aber in einem demokratischen Rechtsstaat gut beraten sind, im Zweifel eben den Regeln des Rechts und nicht dem Rechtsgefühl der Bürger zu folgen? Die ARD hat am Montagabend dieses Problem mit einer anspruchsvollen Debatte in der Talkshow von Frank Plasberg gelöst. Der Autor Ferdinand von Schirach dagegen lässt seine Leser und Zuschauer mit dem Problem gern allein. Gerade, wer so meisterhaft sein Handwerk als Schriftsteller versteht wie er, muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, an solchen Stellen mit dem Feuer zu spielen.