Der russische Militärgeheimdienst GRU gilt seit dem Fall Skripal als blamiert. Was verbirgt sich hinter der geheimnisumwitterten Behörde?

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau - Ein hoher Zaun aus Metallstäben umgibt das Gelände. Hinter dem asphaltierten Patrouillenstreifen erhebt sich eine Betonmauer. Kameras, Flutlichter, verspiegelte Fenster: eine Hochsicherheitsanlage mitten in einem Moskauer Wohngebiet. An einer Ecke steht die Adresse: Choroschowskoje Chaussee 76B. Doch kein Schild weist darauf hin, dass sich hinter der grauen Fassade das Hauptquartier des russischen Militärgeheimdienstes GRU befindet. „Aquarium“ nennen die Russen den Bau, der so seltsam deplatziert wirkt zwischen den Plattenbauten und den Spielplätzen im Nordwesten der Stadt. Die Behörde ist zum wichtigen Akteur russischer Auslandspolitik geworden.

 

Die GRU-Agenten Anatoli Tschepiga und Alexander Mischkin sollen im März unter ihren Tarnnamen Ruslan Boschirow und Alexander Petrow im britischen Salisbury ein Attentat auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia verübt haben. Offiziell gemeldet waren die beiden Männer, die in einem grotesk wirkenden Interview im russischen Auslandssender RT angaben, zum fraglichen Zeitpunkt als Touristen den „123 Meter hohen Kirchturm im wunderschönen Salisbury“ besichtigt zu haben, lange Jahre unter Choroschowskoje Chaussee 76B.

Die Aufdeckung von Bedrohungen für das nationale Interesse

GRU-Mitarbeiter werden von westlichen Regierungen und Sicherheitsexperten, aber auch von russischen Beobachtern beschuldigt, sich in den US-Wahlkampf eingemischt zu haben. Sie sollen für Cyberattacken auf die Welt-Anti-Doping-Agentur in Montreal genauso verantwortlich gewesen sein wie auf den Internationalen Schiedsgerichtshof in Paris oder auf die Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag. Auch die deutsche Regierung sieht mittlerweile „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ den GRU hinter den Hackerattacken auf Deutschland, bisher sprach sie lediglich von „staatlichen Stellen in Russland“. Formal gibt es den GRU eigentlich gar nicht mehr. Doch selbst der russische Präsident Wladimir Putin benutzt stets die drei Buchstaben, wenn es um den militärischen Aufklärungsdienst geht, dessen Aufgabe die offizielle Homepage wie folgt wiedergibt: Aufdeckung von Bedrohungen für das nationale Interesse und die militärische Sicherheit Russlands sowie deren Analyse.

Der Dienst der Armee hat alle Brüche überstande

Mit der Armeereform heißt der Nachrichtendienst seit 2010 offiziell nur noch GU („Hauptverwaltung“) des Generalstabs des Verteidigungsministeriums. Putin ist für die Ernennung des Leiters zuständig, der Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabsleiter Waleri Gerassimow, dem „Vater“ des sogenannten hybriden Kriegs, unterstellt ist. Seit 2016 leitet Generaloberst Igor Korobow die Behörde. Der Name des 62-Jährigen findet sich auf der Sanktionsliste der USA, dennoch reiste Korobow im Januar zu einem Treffen mit dem damaligen CIA-Chef Mike Pompeo nach Washington.

Trotz seines Namenswechsels, den niemand ernst nimmt, hat der Dienst der russischen Armee alle Brüche der vergangenen hundert Jahre überstanden. Ein Jahr nach der Oktoberrevolution 1917 gegründet, behielt er auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Wesentlichen seine Funktionen. Damit unterscheidet er sich von seinem einstigen Erzrivalen, dem „zivilen“ sowjetischen Geheimdienst KGB. Dieser wurde 1992 in den Inlandsgeheimdienst FSB und den Auslandsgeheimdienst SWR aufgeteilt. Die größten Überschneidungen hat der „militärische“ GRU somit mit dem „zivilen“ SWR, wobei auch der FSB hin und wieder im Ausland operiert.

Die Agenten in spe erwartet ein Härtetest

Die Agenten sind teils als Diplomaten, teils als Journalisten in anderen Ländern aktiv. Hauptaufgabe des GRU ist die Desinformation. Das 1923 gegründete „Desinformbüro“, das in den 1960ern etwa Gerüchte säte, US-Geheimdienste steckten hinter der Ermordung von John F. Kennedy, besteht noch heute. Lediglich die technischen Mittel haben sich geändert. Der Umgang mit Daten aber macht dem Dienst zu schaffen. Enthüllungen von Journalisten, nach denen Listen mit Namen, Passdaten und sogar Handynummern mutmaßlich von Mitarbeitern aufgetaucht waren, legen nahe, wie schlecht der Staat seine Agenten schützt – zumeist Männer, deren Risikobereitschaft früh getestet wird. Ausgebildet werden die Spione drei Jahre lang an der Militärakademie des Verteidigungsministeriums, „Konservatorium“ genannt, unweit des GRU-Hauptquartiers. Es soll drei Fakultäten mit neun Richtungen geben (nach Regionen und Tätigkeiten), wo die Agenten ihr Handwerk lernen: wie sie als „Illegale“ unter falschem Namen und einer „Legende“ als „Normalbürger“ im Ausland leben, wie sie als „Militärattachés“ an Botschaften an Informationen kommen, wie sie als Offiziere an Spezialoperationen teilnehmen. Rekrutiert werden sie oft an der Offiziersschule in Tscherepowez in Nordwestrussland und an der Moschajski-Militärakademie in St. Petersburg.

Eine bedeutende Rolle beim Einsatz in der Ukraine

Zudem arbeitet der GRU eng mit Forschungseinrichtungen zusammen. So soll die Militäreinheit 26165, die wohl an der Militäruniversität am Moskauer Komsomolski-Prospekt 20 untergebracht ist, für die Hackerattacken in den USA und in Den Haag verantwortlich gewesen sein. Neue Studenten erwartet ein Härtetest. Vor allem für die Elite-Spezialeinheit wird, so heißt es im Buch „Vorbereitung des Aufklärers: System des GRU-Speznas“, ein „passiv-aggressiver Typ“ gesucht. Übungen wie „Fange ein Kaninchen, zerschlage es am Baum, reiß ihm so schnell es geht den Kopf ab und trinke sein Blut“ gehören demnach zum Psychotest der Spione in spe. Die Ausbildung müsse die psychologischen Barrieren brechen. Die Speznas-Kräfte mischten im Afghanistan-Krieg mit, waren in den Tschetschenien-Kriegen aktiv und im Kaukasus-Krieg mit Georgien. Sie beteiligen sich aktuell an Operationen in Syrien und Libyen.

Aus russischer Sicht war der GRU vor allem beim Einsatz in der Ukraine erfolgreich. Der Geheimdienst war an der Operation zur Annexion der Krim genauso beteiligt wie an der Organisation der „Aufständischen“ im Donbass. Er ist quasi die ausführende Hand von Russlands „Guerilla-Geopolitik“, wie der britische Geheimdienstexperte Mark Galeotti sagt.