Benedikt Banovics Fotografien zeigen die ungeschliffene Schönheit des Außenseiterbezirks Hallschlag und das tägliche Leben zwölf junger Bewohnerinnen.

Stuttgart - Dinge, die man selten in der Stadt sieht: Jutebeutel, auf denen „I love Hallschlag“ steht. Street-Art, die die Schönheit des Lebens im Hallschlag betont. Ja, der Hallschlag ist auf der Rangliste der beliebtesten Wohnorte Stuttgarts so weit hinten, dass man ihn von den Spitzenplätzen West oder Süd gar nicht mehr sehen kann. Abgestraft dümpelt er vor sich hin, der Cannstatter Ortsteil, die bisherigen Aufwertungsmaßnahmen haben noch nicht wirklich das gewünschte Ergebnis gebracht. Dabei war der Hallschlag schon zur Zeit der Römer besiedelt und bietet mit seinen Bewohnern, von denen glatte 70 Prozent einen Migrationshintergrund haben, eigentlich beste Voraussetzungen für viel Multikultiflair, Kreuzberg-Qualität und Weltoffenheit.

 

Endstation Hallschlag

Vielleicht klappt es ja so: Das Fotoprojekt „Hallschlag&Ich“, das ab dem 19. Mai im Holzapfel (Fluxus) zu sehen ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das durchaus spezielle Pflaster klischeelos zu porträtieren. Initiiert von der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft und der Carl-Benz-Schule, hat der Stuttgarter Fotograf Benedikt Banovic sein Zuhause am Erwin-Schöttle-Platz verlassen und sich tief hinein begeben in diese von vielen eher gemiedene Ecke der Stadt, um das Quartier anhand von zwölf ganz unterschiedlichen Mädchen fotografisch zu durchleuchten. „Die Mädchen haben mir ihre Lieblingsorte – oder Orte, die für sie eine besondere Bedeutung haben – gezeigt“, so Banovic.

Er machte sich mit ihnen auf in den urbanen Dschungel, ging Wege ab, hielt an Plätzen inne, saugte die Stimmung des Ortes auf. Daraus entstanden zwölf Porträts, zwölf Bilder der Mädels an ihren Lieblingsorten und drei großformatige Stimmungsarbeiten über den Hallschlag. Das Besondere daran? „Die Verknüpfung von Mensch und Ort“, findet der Fotograf.

Don‘t call it Kiez!

Einen Monat lang wanderte Banovic mal allein, mal mit den Mädchen durch einen vernachlässigten Stadtteil. In dieser Zeit hat er einiges gelernt. „Der Hallschlag wird ein bisschen gemobbt von den Stuttgartern. Googelt man „Hallschlag“, bekommt man gleich ein wunderschönes Bild von einer Platte vor grauem Himmel – ein Klischee, das sich auch bei uns allen im Kopf manifestiert hat.“ Benedikt Banovic kann daran nichts Negatives finden. „Ich liebe diese Platten! Für mich ist so eine Platte ein Dorf für sich. Viele Menschen auf ganz engem, schlecht angelegtem Wohnraum. Eine Situation, die den Menschen viel abverlangt, die aber auch ein besondere Atmosphäre schafft.“

Er findet, dass sich durch die Förderung von sozialen Projekten sehr viel getan hat, die Stimmung im Allgemeinen dennoch etwas rauer ist. „Ich habe ein bisschen Angst vor dem Moment, ab dem man den Hallschlag als Kiez bezeichnet. Dem Moment“, meint er ehrlich besorgt, „wenn Werbeagenturen und Architekturbüros in Friseursalons oder Tante Emma Läden ziehen. Lieber Hallschlag, deine Füße sind viel zu groß und deine Ohren stehen leicht ab, bitte werde niemals hip!“

Schönheit in Widersprüchen

Noch ist es nicht soweit. In seinen Bildern zeigt Bankovic den Hallschlag und seine Bewohner ungeschminkt, aber nicht unpoetisch. Es liegt eine ganz besondere Stimmung auf diesen Straßen, die Banovic meisterhaft einzufangen weiß. Er ist kein Unbekannter in diesem Stadtteil, ist früher hier zur Johannes-Gutenberg-Schule gegangen und hat danach nebenan in Bad Cannstatt gewohnt.„Für mich besteht die Schönheit eben in den Widersprüchen“, betont er. „Beinahe an jedem Ort im Hallschlag sieht man den 180 Meter hohen Schornstein vom Kraftwerk Münster. Er diente mir schon immer ein bisschen als Orientierung. Zudem hat er auch etwas Schönes an sich, wenn er Dampf ausstößt, der aussieht wie Zuckerwatte.“

Einen Tipp hat er auch noch parat: „Wenn man an der U-Bahn Station am Kraftwerk Münster aussteigt und die Treppen zum Travertinpark hoch läuft, läuft man mitten durch Weinberge. Ein guter Start, um sich diesem spannenden Stadtteil zu nähern.“

Geheime Felsen

Die Zusammenarbeit mit den zwölf Hallschlag-Girls lief unerwartet leicht für den Fotografen. „Ich war überrascht von dem Grundvertrauen, das sie mir entgegengebracht haben. Ich glaube, das sieht man auch in den Fotografien. Wir haben viel zusammen gelacht.“ Anstatt sie nach seinen Vorstellungen zu inszenieren, überließ er seinen jungen Models die Regie, bestärkte sie darin, ihre eigenen Ideen umzusetzen.

Das kam gut an. Und führte zu vielen einprägsamen Anekdoten. „Ein Mädchen namens Nena beispielsweise erzählte mir von geheimen Felsen im Steinbruch, die aussehen wie Löwen. Sie geht oft zum Steinbruch, um Fotos von ihnen zu machen. Ein anderes Mädchen erzählte darüber, dass sie den Steinbruch immer gern mit ihrem Opa besucht hat. Aber es sind auch ganz einfach Geschichten über Nachmittage an Spielplätzen, über Freundschaften.“

Das tägliche Leben eben – eingefasst in elegante Schwarzweiß-Porträts einer jungen Generation, die noch viel vor sich hat.

„Hallschlag&Ich“, Vernissage am 19. Mai, 14 Uhr, Holzapfel (Fluxus)