Aus Furcht vor gnadenlosen Mördern flieht ein junger Albaner nach Deutschland. Doch selbst dort ist er nicht sicher. An einem Anglersee unweit von Ulm wird er mit einem Hammer erschlagen. Der Täter wurde jetzt zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ulm - Rund zwei Jahre nach dem Mord an einem jungen Albaner in Deutschland hat das Landgericht Ulm einen der mutmaßlichen Täter zu lebenslanger Haft verurteilt. Die „akribische Beweisführung“ durch die Ermittler habe die zentrale Tatbeteiligung des 47-jährigen Angeklagten überzeugend nachgewiesen, erklärte der Vorsitzende Richter Gerd Gugenhan am Mittwoch bei der Urteilsverkündung.

 

Die Schuld des aus Albanien stammenden Angeklagten, der in Göppingen eine Autowaschanlage betrieb und vor einigen Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft bekam, sei in „akribischer Polizeiarbeit“ nachgewiesen worden, so Gugenhan zum Abschluss des Indizienprozesses. Das Gericht folgte damit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft.

Ein Mord aus Blutrache

Laut Staatsanwaltschaft wurde das 19-jährige Opfer des Angeklagten im April 2017 im Zuge einer archaischen „Blutrache“ an einen See unweit von Ulm gelockt und dort mit mindestens acht Hammerschlägen auf den Hinterkopf getötet. Der junge Albaner sei der Neffe des Mannes gewesen, der vor 19 Jahren in Albanien einen Mann erschossen habe. Diese Tat habe eine ganze Kette von „Blutrache“-Morden ausgelöst.

Laut Gugenhan begann die Spirale von Rache und Vergeltung, die zum Mord an dem 19-jährigen Xhoi M. geführt habe und der bereits mehrere Menschen zum Opfer gefallen seien, bereits im Jahr 2000. Damals wurde in der albanischen Region Elbasan ein Mann im Streit um Schulden auf offener Straße erschossen. Der Täter sitzt seit Jahren in Albanien im Gefängnis. Der im April 2017 bei Erbach getötete Albaner war ein Neffe dieses Mannes. Auch der Verurteilte war laut Anklage durch verwandtschaftliche Beziehungen von der Fehde betroffen.

„Kanun“ – ein Rachemord

Dass dem jungen Mann nach den Regeln des alten albanischen Gewohnheitsrechts „Kanun“ ein Rachemord drohte, sobald er volljährig sein würde, war seiner Familie bewusst. Vor der tödlichen Gefahr war der Albaner zusammen mit seiner Mutter und einem jüngeren Bruder nach Deutschland geflohen. Sie lebten in Steinfurt (Nordrhein-Westfalen). Nach dem Mord kamen sie in ein Zeugenschutzprogramm. Auf den Aufenthaltsort des 19-Jährigen sollen der oder die „Blutrache“-Mörder durch dessen Eintragungen auf Facebook aufmerksam geworden sein.

Die Verteidigung hatte argumentiert, ihr Mandant habe lediglich „Handlangerdienste“ für den eigentlichen Mörder geleistet - einen als „Don“ bezeichneten Profi-Killer. Richter Gugenhan erklärte hingegen, es sei unerheblich, ob der Angeklagte oder der andere Mann die tödlichen Hammerschläge ausgeführt habe. Beide hätten in klarer Mordabsicht gehandelt.

„Blut für Blut“

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine Selbstjustiz, die vor langer Zeit in den Bergen des nördlichen Albanien entstand. „Blut für Blut“ - so sieht es der „Kanun“ vor. Jahrhundertelang hätten sich patriarchalisch-katholisch geprägte Familien danach gerichtet, sagt Herbert Schedler, Albanien-Experte des Osteuropa-Hilfswerks der Katholischen Kirche (Renovabis) in Freising. Verboten und Aufklärungskampagnen zum Trotz werde Blutrache noch praktiziert, wenngleich heute weit seltener als einst.

Mit Verbrechen, die anscheinend auf „Kanun“-Vorschriften beruhen, wird auch die deutsche Justiz immer wieder mal konfrontiert. So wurde Anfang 2017 ein 46 Jahre alter Albaner vor einer Grundschule im niedersächsischen Visselhövede erschossen. Auch dabei ging es laut Staatsanwaltschaft um „Blutrache“. Das Landgericht Verden verurteilte einen 23-jährigen Albaner wegen Mordes zu lebenslanger Haft.

Zahl der Ehrenmorde in Deutschland ist unklar

Wie oft in Deutschland albanische „Blutrache“ oder auch islamistisch motivierte Morde im Namen einer vermeintlichen Ehre vorkommen, wird in den Statistiken des Bundeskriminalamtes (BKA) nicht erfasst. Derartige Motivlagen sind keine geltende Strafrechtskategorie. Gleichwohl seien solche Verbrechen „fester Bestandteil des Kriminalitätsgeschehens und damit der Gesellschaft in Deutschland“, erklärte schon 2010 der damalige BKA-Präsident Jörg Ziercke.

Bei der Urteilsfindung werde allein deutsches Recht angewandt, sagte vor Beginn des Verfahrens Professor Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. „Dass Leute in anderen Rechtsordnungen verwurzelt sind, wird keineswegs als Entschuldigungsgrund anerkannt.“ Zudem sei die Rechtssprechung bei Morden unter Berufung auf eine wie auch immer geartete „Ehre“ tendenziell sogar strenger. Auch in dem Ulmer Prozess betonten Oberstaatsanwalt Christof Lehr und der Vorsitzende Richter die besondere Heimtücke und Skrupellosigkeit des Mordes.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung will eigenen Angaben zufolge innerhalb einer Woche entscheiden, ob sie Revision einlegt.