Die Zahl der Unfälle mit Elektrofahrrädern steigt stetig. Dabei verlieren manche Radler ohne erkennbaren Grund die Kontrolle.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Zum Glück ist der Kinderanhänger leer, als der Papa die Kontrolle über sein Gefährt verliert. Der Pedelecfahrer gerät gegen eine fest verankerte Warnbake, schlingert und prallt gegen ein verkehrsbedingt haltendes Auto. Besonders auf dem Elektrofahrrad müsste ein Helm eigentlich selbstverständlich sein – doch nicht alle sehen den Kopfschutz für notwendig an. Auch der Fahrer dieses Pedelecs nicht, der bei diesem Unfall am Dienstagnachmittag in der Innenstadt verunglückt ist. Er wird in einem Krankenhaus stationär aufgenommen.

 

Nach Angaben der Polizei hat sich der Unfall gegen 16.40 Uhr auf der Tübinger Straße ereignet. Der 37-Jährige ist dort mit seinen Pedelec vom Marienplatz in Richtung Innenstadt unterwegs, als er aus noch unklarer Ursache den Unfall verursacht. Der Radler prallt auf Höhe einer Brauerei erst links gegen die Warnbake, wird nach rechts geschleudert und kollidiert dort mit einem Smart, der verkehrsbedingt angehalten hat. Der Radfahrer wird beim Sturz schwer verletzt. Der Rettungsdienst bringt ihn ins Krankenhaus. Der Schaden wird auf 1000 Euro geschätzt.

66 Prozent mehr Pedelec-Unfälle

Die Zahl der Unfälle mit Elektrofahrrädern ist zuletzt in Stuttgart deutlich gestiegen – angesichts der zunehmenden Zahl von E-Bikes und Pedelecs zunächst auch wenig verwunderlich. Dabei wurde im vergangenen Jahr wurde fast schon die Marke von 100 Unfällen erreicht. Im Jahr davor waren es noch 59 gewesen – nachdem die Zahlen in der Vergangenheit zwischen 20 und 40 lagen.

Nicht weniger alarmierend ist die Bilanz der Polizei über die verletzten Elektroradler. Die Zahl der Leicht- und Schwerverletzten steigt kontinuierlich an – von 33 über 54 bis 84 im vergangenen Jahr. „Umso wichtiger ist das Tragen eines Helms“, sagt Polizeisprecherin Monika Ackermann, „zumal mit einem E-Bike oder Pedelec leicht höhere Geschwindigkeiten erreicht werden.“

Dabei kommen noch weitere Faktoren hinzu, wie man etwa aus den Reihen des Württembergischen Radsportverbands erfahren kann: So ein Pedelec hat ein deutlich höheres Gewicht und einen anderen Schwerpunkt, beim Anfahren und in engen Kurven kann die Antriebsleistung des Motors leicht unterschätzt werden. Und auch die Bremsen sind meist viel stärker als die sonst gewohnten.

Verhängnisvolle Hunde

Derweil häufen sich die Meldungen über Unfälle mit Elektrofahrrädern auch in der Region. Am Montag kam es in Nürtingen (Kreis Esslingen) zu einem besonders kuriosen Unfall, bei dem ein 65-Jähriger auf seiner Fahrt mit einem Pedelec schwere Verletzungen erlitt. Ausgelöst wurde das Unglück von einem 25-jährigen Radfahrer, der mit drei Hunden auf dem Neckarradweg unterwegs war – zwei frei herumlaufend, einer an der Leine. Als sich der 65-Jährige in Gegenrichtung näherte, sprang ausgerechnet der angeleinte Hund zur Seite – und direkt vor das Rad des Seniors. Der stürzte schwer und musste mit Frakturen in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Womöglich Schlimmeres verhinderte ein Fahrradhelm, den eine 52-Jährige getragen hatte, als sie letzte Woche in Weinstadt (Rems-Murr-Kreis) mit ihrem Pedelec verunglückte. Die Frau hatte zu spät gemerkt, dass vor ihr eine Mercedes-Fahrerin anhielt – und krachte mit voller Wucht gegen das Heck des Autos.

Unter den E-Bike-Unfällen der vergangenen Tage von Fellbach über Leonberg bis Deizisau ragt jener in Holzmaden im Kreis Esslingen heraus, der reichlich Argumente für einen Schutzhelm liefert. Ein 55-Jähriger war dort am Abend mit seinem Pedelec auf einer abschüssigen Straße unterwegs, als er mit dem Lenker und einem Pedal an einem Laternenmasten hängen blieb. Der Mann schrammte an einer Mauer entlang und stürzte vor einem Hauseingang. Dabei schlug er mit dem Kopf auf einer Steintreppe auf. „Der Mann hat keinen Helm getragen“, sagt Polizeisprecher Michael Schaal. Der 55-Jährige erlitt schweren Verletzungen.

Das Innenministerium schlägt längst Alarm

Fahrräder liegen im Trend – mit und ohne Elektromotor. Und das hat auch Schattenseiten. Bereits im Frühjahr schlug das baden-württembergische Innenministerium angesichts dramatischer Unfallzahlen Alarm. Landesweit kamen 68 Radfahrer im Land ums Leben, eine Steigerung um 50 Prozent. „Das dürfen wir nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen“, stellte Innenminister Thomas Strobl fest. Immerhin hätten zwei von drei getöteten Radfahrern keinen Kopfschutz getragen. Strobl kündigte Polizeikontrollen und Kampagnen an.

Ob die sich 2019 auswirken? Die Stuttgarter Polizeisprecherin Monika Ackermann sieht einen Silberstreif: „Immerhin steigt das Bewusstsein, einen Fahrradhelm zu tragen“, sagt sie nach diversen Beobachtungen der Präventionsbeamten. Doch auf welchem Niveau? 2017 hatten nur 39 Prozent der verunglückten Elektroradler einen Helm getragen, 2018 lag dieser Wert bei 54 Prozent. Die Verkehrspolizei sieht „eindeutig Nachholbedarf“. Zumindest bis Mai seien die Unfallzahlen mit E-Bikes in Stuttgart nicht weiter gestiegen, „aber das heißt noch gar nichts“, so Monika Ackermann. Vieles hänge von der Wetterlage ab – und die sommerlichen Tage haben eben erst so richtig begonnen.