Auf Samtpfoten streifen Freigänger durch ihr Revier. Katzen, deren Eigentümer ihnen viel Freiheit lassen, werden in Walldorf zu bestimmten Zeiten nicht mehr gerne draußen gesehen. Ein unscheinbares Vögelchen ist der Grund dafür.

Ein bundesweit einzigartiges Ausgangsverbot für Katzen in Walldorf ruft sowohl Arten- als auch Tierschützer auf den Plan. Die Maßnahme des Rhein-Neckar-Kreises zum Schutz der vom Aussterben bedrohten Haubenlerchen ist radikal: Katzen dürfen ab sofort und in den nächsten drei Jahren jeweils von April bis August nicht durch das Brutgebiet im Süden der Stadt streifen - es sei denn, sie werden an die kurze Leine genommen oder bewegen sich nachweisbar nicht in Bereichen, wo sie zur Gefahr für die seltenen Vögel werden können. Bislang sind vier Widersprüche gegen die Allgemeinverfügung beim Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises eingegangen, die an das Regierungspräsidium zur Entscheidung weitergegeben werden.

 

Aktueller Grund für die Verbannung freilaufender Katzen ist der Schutz von drei Brutpaaren des Singvogels, dessen bundesweiten Bestand die Naturschutzorganisation Nabu auf 1700 bis 2700 Exemplare schätzt. Wird eines der bräunlichen Tiere mit heller Brust und feschem Schopf von ausgebüxten Vierbeinern erwischt, droht deren Halter eine saftige Geldbuße von bis zu 50 000 Euro. Immerhin 500 Euro Zwangsgeld muss derjenige berappen, dessen Katze sich dem Lockdown entzieht.

Das ist die Haubenlerche

Die bis zu 19 Zentimeter große Haubenlerche ist in den Roten Listen in Baden-Württemberg und in Deutschland in die höchste Gefährdungskategorie eingestuft. In Baden-Württemberg gibt es noch 60 Reviere, deren Brutvorkommen sich auf den Bereich zwischen Waghäusel, Walldorf und Ketsch in Nordbaden konzentrieren. Zur Begründung der umstrittenen Anordnung heißt es: „Das Unterbinden des Freigangs von Katzen im Gefahrenbereich für die Dauer der Zeit, in der sie zu einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos für Haubenlerchen führen würden, ist verhältnismäßig.“ Denn, so steht in der Verfügung weiter, die Haubenlerchen seien vom Aussterben bedroht, die Katzen eine besondere Gefahr für sie und die Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen.

Das sieht Hester Pommerening, Referentin beim Deutschen Tierschutzbund, ganz anders: „Die Maßnahme ist völlig unverhältnismäßig, rechtswidrig und tierquälerisch.“ Zwar sei Artenschutz ein wichtiges Anliegen, er dürfe aber nicht zulasten anderer Tiere gehen. Das Tierschutzgesetz stelle alle Tiere gleich. „Katzen müssen ausbaden, dass es immer weniger Lebensraum und Nahrungsangebot für seltene Vögel gibt.“ Mit Blick auf Bauarbeiten in der Nähe des Walldorfer Brutgebiets fügt Pommerening hinzu: „Da müssen sich die Menschen schon selbst an die Nase fassen.“ Im Jahr 2016 hätten dort noch sechs Paare ihre Jungen aufgezogen. Anders als das Landratsamt sieht sie noch nicht alle Instrumente ausgereizt. „So könnten Katzenschutzzäune um sensible Brutplätze errichtet werden.“

Nabu-Vogelexperte plädiert für Artenschutz

Der Nabu-Vogelexperte Martin Rümmler schlägt sich auf die Seite des Artenschutzes: „Ein von einer Katze erbeutetes Jungtier kann der Sargnagel für die aussterbende Population sein.“ Die Haubenlerchen halten sich nach seinen Worten vorwiegend auf dem Boden auf, sie suchen dort nach Nahrung und brüten ihre Eier aus. Für Katzen seien sie leichte Beute. Das sei aber nur ein Teil der Bedrohung neben intensiver Landwirtschaft, Flächenversiegelung, Insektensterben und Pestiziden sowie Füchsen und Mardern.

Pommerening liegt das Wohlergehen der Katzen am Herzen. Werde deren Freiheitsbedürfnis unterdrückt, könne das aggressives oder depressives Verhalten auslösen. „Sie können unsauber werden, zumal wenn sie kein Katzenklo kennen, urinieren in die Wohnung und zerkratzen Möbel und Teppiche.“ Die Verbandsfrau fragt: „Und wer kommt für diese Schäden auf?“ Noch tiefer müssten Katzenhalter in den Geldbeutel greifen, wollten sie, wie vom Landratsamt unter anderem empfohlen, ihre Katzen während der Brutzeit in eine Tierpension bringen.

Nach Eingang der Widersprüche gegen die außergewöhnliche Allgemeinverfügung rechnet das Regierungspräsidium als höhere Naturschutzbehörde mit einer Entscheidung in einem Zeitraum von mindestens vier bis sechs Wochen - die Abwägung sei nicht einfach.