Der Profiradsport versucht, die Corona-Saison doch noch zu retten. Die Termine nach dem geplanten Start im August stehen. Ob die Rennen aber tatsächlich stattfinden, ist völlig offen.

Stuttgart - In schwierigen Zeiten ist es wichtig, Orientierung zu haben. Lösungsansätze. Eine Perspektive. Und Termine, an denen man sich festhalten kann. Noch weiß niemand, wann sich im Profiradsport, der in der Corona-Pandemie komplett still steht, wieder alles um Ausreißer, Bergwertungen und Zielsprints drehen wird. Aber es gibt zumindest mal einen Plan: Die Saison soll am 1. August beginnen. „Wir haben jetzt einen Kalender“, sagt Ralph Denk, Chef des größten deutschen Profiteams Bora-hansgrohe, „das ist schön.“ Auch wenn die vom Weltverband UCI veröffentlichen Termine zwangsläufig zu neuen Diskussionen führen.

 

Kompromisse nötig

Es war keine ganz einfache Aufgabe, die wichtigsten Rennen des Jahres, die normalerweise zwischen Anfang April und Ende Oktober ausgetragen werden, in zwölf Wochen zu pressen. Logisch, dass es zu Überschneidungen kommt. Dass Rennen verkürzt werden müssen. Und dass Kompromisse nötig sind. Und trotzdem wissen alle, dass sie schon froh sein können, wenn die Saison auf diese Weise gerettet werden kann. „Um den Fortbestand der Rennen zu gewährleisten, mussten Opfer gebracht werden“, erklären die Organisatoren des Giro d’Italia. Und Ralph Denk meint: „Am wichtigsten ist, dass alle großen Rennen im Kalender drin sind. Damit bewegt sich die mediale Präsenz unseres Sports wahrscheinlich auf einem ähnlichen Niveau wie in den vergangenen Jahren. Das ist für die Teams wirtschaftlich entscheidend.“

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Im neuen Kalender gibt es zwei Fixpunkte: die Tour de France (29. August bis 20. September) und die Rad-WM in der Schweiz (20. bis 27. September). Die größten Abstriche muss der Giro d’Italia (3. bis 25. Oktober) machen – weil gleichzeitig Klassiker wie Lüttich-Bastogne-Lüttich (4. Oktober), das Amstel-Gold-Race (10. Oktober) oder die Flandern-Rundfahrt (18. Oktober) stattfinden. Fahrer wie Bora-Superstar Peter Sagan müssen sich nun entscheiden: Ursprünglich wollte der dreimalige Weltmeister 2020 sein Debüt bei der Italien-Rundfahrt geben, er gehört aber auch zu den aussichtsreichsten Klassiker-Spezialisten im Peloton – für diesen Herbst sind das definitiv zu viele Ambitionen. „Ich finde es fast ein wenig respektlos, dass man Klassiker parallel zum Giro fährt“, meint denn auch Sagans Chef Ralph Denk, „zumal man die Saison auch hätte weiter verlängern können, um das zu vermeiden.“

Qualität leidet

So wird das gedrängte Programm dazu führen, dass einige Rennen qualitativ weniger gut besetzt sind als in der Vergangenheit. Zahlenmäßig ausgedünnte Felder allerdings wird es nicht geben. Die Profirennställe verfügen über Teams, die groß genug sind, um an mehreren Orten gleichzeitig starten zu können. Bora-hansgrohe zum Beispiel hat 27 Fahrer unter Vertrag, und auch die Zahl der Sportlichen Leiter, Betreuer und Mechaniker ist groß genug. „Logistisch sehe ich keine Probleme“, erklärt Ralph Denk, „wird sind gewohnt, bis zu drei Rennprogramme parallel zu fahren.“

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Auch an den hohen Zielen hält die stärkste deutsche Equipe fest. Der Boss erklärt selbstbewusst, bei allen Rennen um den Sieg mitfahren zu wollen („Dafür müssen wir unsere Trümpfe klug ausspielen“). Rundfahrt-Spezialist Emanuel Buchmann, vor einem Jahr Vierter bei der Tour, peilt zudem bei der Frankreich-Rundfahrt das Podium in Paris an. „Es ist schön, dass nun etwas Leben in die Sache kommt und alles Formen annimmt“, sagt der Ravensburger, der auch kein Problem darin sieht, in der Dauphiné nur eine Rundfahrt als Vorbereitung auf die Tour bestreiten zu können: „Ein Großteil der Arbeit wird im Training erledigt.“

Wichtiger Schritt

Dafür bleibt den Radprofis nun noch fast drei Monate Zeit. Das reicht. Auch nach Meinung von David Lappartient. „Wir haben einen soliden, attraktiven und abwechslungsreichen neuen Kalender erstellt“, erklärt der UCI-Präsident, „er ist so realistisch und in sich stimmig wie möglich. Fahrer, Teams und Organisatoren haben jetzt die Daten, die sie benötigen. Dies ist ein sehr wichtiger Schritt, auf den die gesamte, von der Pandemie finanziell getroffene Radsportgemeinschaft gewartet hat, um wieder voranzukommen.“

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Das stimmt, zumindest auf dem Papier. Die Realität aber bestimmt derzeit nicht der UCI-Kalender, sondern ein Virus. Natürlich auch in Frankreich. Dort sind aktuell Veranstaltungen mit mehr als 5000 Teilnehmern nicht erlaubt, das Verbot gilt noch bis mindestens September. Und trotzdem soll sich die Tour de France mit ihrem riesigen Tross am 29. August in Nizza in Bewegung setzen. Was nur zeigt: Es ist zwar wichtig, in schwierigen Zeiten ein Ziel zu haben. Ob es auch zu erreichen ist, das ist eine ganz andere Frage.

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