Im Betrugsprozess gegen den Radprofi Stefan Schumacher geht es auch um die Frage, ob sein Ex-Teamchef beim Thema Doping zu oft weggeschaut hat. Hans-Michael Holczer bestreitet alle Vorwürfe vehement.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Ist das noch der alte Hans-Michael Holczer, der da vor dem Saal eins des Stuttgarter Landgerichts steht? Wütend blickt der einst so quirlige ehemalige Teamchef des Radrennstalles Gerolsteiner in die Fernsehkameras, während ihm der Zorn und die Enttäuschung die Augen verwässern. „Die Dinge sind noch nie derart falsch dargestellt worden wie hier“, sagt der 59-jährige Herrenberger: „Ich habe schon früher gedacht: Der Einzige, der im Radsport Dresche kriegt, ist der Teamchef – und das ist wohl immer noch so.“

 

Als Zeuge – und nicht etwa als Angeklagter – hat Hans-Michael Holczer am Dienstag zum dritten und wohl zum letzten Mal vor der Großen Strafkammer ausgesagt, die unter dem Vorsitz von Martin Friedrich gegen den Radprofi Stefan Schumacher wegen des Betrugsverdachts verhandelt. Der des Dopings geständige einstige Gerolsteiner-Fahrer soll zu Unrecht von Holczers Firma HSM 150 000 Euro Gehalt erhalten haben, da er trotz Nachfrage bei der Tour de France 2008 leugnete, gedopt zu haben.

Die Seite Schumachers allerdings, der sich durch die Anwälte Michael Lehner und Dieter Rössner verteidigen lässt, ist der Auffassung, ihr Mandant könne Holczer gar nicht betrogen haben, weil dieser als Teamchef über Dopingvergehen in der Gerolsteiner-Equipe, die Ende 2008 nach dem Ausstieg des Hauptsponsors aufgelöst wurde, bestens informiert gewesen sei.

Holczer als entschlossener Vorreiter im Antidopingkampf

Dies aber bestreitet Holczer vehement – und tatsächlich ist der ehemalige Realschullehrer für Mathematik und Geschichte nach außen hin stets als entschlossener Antidopingkämpfer aufgetreten. Da war etwa sein beherztes Engagement vor dem Start der Tour de France 2007 in London, als Holczer als Chef einer Erneuerungsbewegung seine Teamchefkollegen medienwirksam in einem roten Doppeldeckerbus zusammentrommelte, um ihnen eine Ehrenerklärung als Bekenntnis zum sauberen Radsport abzuringen. Schließlich galt Holczer, der Quereinsteiger, im traditionell dopingumwitterten Radsportbusiness als glaubwürdiger Vorkämpfer ohne Altlasten.

Laut der Vorwürfe des geständigen Dopers Stefan Schumacher – die Holczer vor dem Stuttgarter Landgericht entschieden zurückwies („Schumi will sich durch Lügen retten. Das zeugt von grenzenlosem Egoismus“) – soll das externe Auftreten des einstigen Gerolsteiner-Teamchefs im Antidopingkampf aber nicht mit seiner inneren, teaminternen Haltung deckungsgleich gewesen sein. „Ich habe die Hosen runter gelassen – das wäre für ihn auch mal an der Zeit“, rät Schumacher seinem Ex-Chef.

Hat der ehrgeizige Radsport-Emporkömmling Hans-Michael Holczer, der aus dem Amateurlager kommend sein Gerolsteiner-Team 1999 übernahm und es bereits 2003 erstmals zur Tour de France führte, also tatsächlich zu oft weg- oder zumindest gelegentlich nicht richtig hingeschaut, als es ums Doping ging? Einige zweifelhafte Entscheidungen hat Holczer in der Tat getroffen: So verpflichtete er 2002 in dem Italiener Davide Rebellin einen Spitzenfahrer, gegen den im Zuge einer Dopingrazzia beim Giro d’Italia 2001 in dessen Heimat ermittelt wurde. „Aus heutiger Sicht würde ich das nicht mehr tun“, sagt der Ex-Teamchef: „Doch es gab auch bei mir einen Lernprozess – 2008 war ich schlauer.“ Holczer war zudem bekannt, dass einer seiner Topfahrer bei der Deutschlandtour 2006 von einem Teamarzt das Dopingmittel Synacthen verabreicht haben wollte, was nicht geschah. Der Rennstallchef schmiss den Profi aber nicht sofort raus, sondern verlängerte den am Jahresende auslaufenden Vertrag nicht.

„Ich sah mich massivem juristischem Druck ausgesetzt für den Fall, dass ich einen Fahrer allein wegen eines Verdachts nicht für ein Rennen nominiert hätte“, sagte Holczer – und erklärte so auch seine Haltung im Fall des US-Profis und Lance-Armstrong-Freundes Levi Leipheimer, der 2006 in Frankreich eine Kapitänsrolle bei Gerolsteiner einnahm, obwohl ihm Holczer schwer misstraute – und ihm 2005 nach einer Tour-Bergetappe im Hotel in Grenoble ins Gesicht gesagt haben soll: „Ich weiß, dass du gedopt hast!“

Die schwierige Gratwanderung des Hans-Michael Holczer im Profiradsport brachte Johannes Fröhlinger auf den Punkt. Für ihn sei sein Teamchef immer „eine Galionsfigur im Antidopingkampf“ gewesen, sagte der ehemalige Gerolsteiner-Profi im Zeugenstand aus. Ob es denn eine teaminterne Antidopingaufklärung bei Gerolsteiner gegeben habe, wurde Fröhlinger dann gefragt. Seine Antwort: „Nein.“