Die niederländischen Radsportlerinnen haben nicht nur bei der Weltmeisterschaft in Imola abgeräumt, sie tun dies schon seit Jahren. Dafür gibt es gute Gründe.

Imola/Stuttgart - Bei den Eis-Eiligen aus den Niederlanden, das ist nicht neu, geht fast alles glatt. Allein dank der Erfolge ihrer Eisschnellläufer sind die Oranjes eine Top-Wintersportnation. Bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi holten sie acht mal Gold (insgesamt 23 Medaillen), vier Jahre später in Pyeongchang sieben Siege (insgesamt 16 Medaillen). Mehr Dominanz geht nicht? Stimmt. Und trotzdem sind die Kurvenflitzer nahe dran an den Kufenflitzern. Zumindest bei den Frauen.

 

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Auch bei den Radsportlerinnen gibt es in den Niederlanden eine goldene Generation – die nun in Imola erneut eine glanzvolle WM absolviert hat. Anna van der Breggen (30) holte das höchst seltene Double: Sieg im Straßenrennen, Sieg im Zeitfahren. Zuvor hatte die Olympiasiegerin (2016) und Weltmeisterin (2018) in diesem Jahr auch schon den Giro Rosa, den Giro d’Italia für Frauen, gewonnen. Es ist eine erstaunliche Bilanz für eine, die eigentlich nur die Zweitbeste ist.

Die Leidensgeschichte der Annemiek van Vleuten

Der Superstar im Peloton heißt Annemiek van Vleuten (37), eine spanische Zeitung betitelte sie neulich als „Messi des Frauen-Radsports“. Das Problem: Sie ist öfter verletzt als der Kicker. 2016 stürzte sie in Rio klar in Führung liegend so schwer, dass sie auch im Rollstuhl hätte landen können – das Olympia-Gold war weg. 2018 beendete sie das WM-Rennen in Innsbruck als Siebte mit gebrochener Kniescheibe. Und vor einer Woche hätte sie ziemlich sicher den Giro Rosa gewonnen, wenn sie sich nicht auf der drittletzten Etappe das Handgelenk gebrochen hätte. Trotz der Blessur holte die Weltmeisterin von 2019 in Imola WM-Silber. Nächste Saison fährt sie für den spanischen Rennstall Movistar. Dort kassiert sie pro Jahr 250 000 Euro. Das ist zwar nur rund ein Zwanzigstel der Summe, die Peter Sagan angeblich bei Bora-hansgrohe einstreicht, aber trotzdem ein Betrag, der Maßstäbe setzt. „Galionsfiguren wie sie“, sagt Ex-Profi Dirk Baldinger, der Sportliche Leiter des Teams Ceratizit-WNT, „brauchen wir, um die Popularität unseres Sports zu vergrößern.“

Das ist global gedacht, was natürlich der richtige Ansatz ist. Aber nicht die Frage beantwortet, warum die Niederländerinnen derart dominieren. Schließlich gibt es auch noch Chantal Blaak (30), die Weltmeisterin von 2017. Und natürlich Marianne Vos (33), die Doppel-Olympiasiegerin (2008 im Punktefahren auf der Bahn, 2012 auf der Straße), dreimalige Weltmeisterin (2006, 2012, 2013) und siebenmalige Cross-Weltmeisterin. Am Samstag wurde sie im Sprint der Verfolgerinnen Vierte, vor Liane Lippert, der besten Deutschen. „Es war eine superstarke Mannschaftsleistung der Niederländerinnen“, meinte die neuntplatzierte Lisa Brennauer. „Hammertaktik, sie haben wieder alles richtig gemacht!“ Nicht nur im WM-Rennen.

Ohne Talent geht es nicht

Ähnlich wie Eisschnelllaufen ist Radfahren in den Niederlanden ein Volkssport. Eine echte Bewegung. Die Nachwuchsarbeit ist hervorragend, sowohl was die Qualität der Trainer als auch die Infrastruktur angeht. Und es gibt sogar einen Wissenstransfer zwischen den beiden Erfolgsdisziplinen. Weil die Besten enorm populär sind, finden viele Talente den Weg aufs Eis oder Rad. „Es ist krass, über wie viel Klasse die Niederländerinnen verfügen“, sagt Franziska Brauße, die Bahn- und Straßenfahrerin vom RSV Öschelbronn, „um es so weit zu bringen, ist harte Arbeit und viel Ehrgeiz nötig. Und es geht nicht ohne das entsprechende Talent.“

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Zugleich besteht wenig Hoffnung für die Konkurrenz, dass die glänzenden Zeiten der Oranjes bald vorüber sind. Van Vleuten will zumindest noch zwei Jahre fahren, sowohl auf der Straße wie im Cross gibt es starke Nachwuchskräfte. „Vielleicht wird die Dominanz irgendwann nicht mehr so groß sein“, meint Brauße, „aber Niederländerinnen auf dem Podest werden wir noch lange sehen.“ Nicht nur bei den Eis-Eiligen.