Die Stuttgarter Kickers sind rechtzeitig vor der Mitgliederversammlung sportlich in die Spur gekommen. Präsident Rainer Lorz äußert sich zur wirtschaftlichen Lage und zu den Folgen eines möglichen erneuten Nicht-Aufstiegs.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Die Stuttgarter Kickers gehen aus Termingründen neue Wege: Ausnahmsweise findet die Mitgliederversammlung des Fußball-Oberligisten an diesem Mittwoch (19 Uhr) in der Filharmonie in Filderstadt statt. Präsident Rainer Lorz verweist im Vorfeld auf positive Effekte bei den Finanzen – einen vernünftigen Etat aufzustellen, bleibt aber weiter eine Riesenherausforderung.

 

Herr Lorz, haben Sie eigentlich den Film unserer Redaktion über die Kickers gesehen?

Ich war leider krank an dem Tag, doch mir wurde mehrfach berichtet, dass er sehr gut gemacht war, unseren besonderen Verein und die Emotionen gut transportierte. Leider hatte der Film kein Happy End (Anm. d. Red.: Der Film wird am 1. Dezember, 15 Uhr, im Delphi-Kino in Stuttgart erneut gezeigt).

Der Film lautet „Ein Traum in Blau“. Träumen sie eigentlich nachts von den Kickers?

(lacht) Das kann schon vorkommen. Langsam werden die Träume wieder positiver.

Tritt in Sachen Oberliga kein Gewöhnungseffekt ein?

Nein, wir haben weiterhin ambitionierte Ziele und arbeiten daran diese auch zu erreichen. Ein Gewöhnungseffekt ist damit nicht verbunden.

Wie schwer wird es, dieses Ziel Aufstieg im zweiten Anlauf zu erreichen?

Es ist sicherlich nicht einfacher als im vergangenen Jahr. Die Liga ist ausgeglichener und mit dem VfB Stuttgart II haben wir einen großen Konkurrenten hinzubekommen. Dass wir diesen Konkurrenten mit 3:0 geschlagen haben und die Mannschaft speziell in diesem Derby gezeigt hat, was sie drauf hat, stimmt mich optimistisch.

Gefestigt wirkt die Mannschaft aber nicht.

Doch es ist eine Entwicklung zu sehen – und das gefällt mir.

Lesen und sehen Sie hier: Film über die Stuttgarter Kickers: „Ein Traum in Blau“

Wie bewerten Sie die Arbeit der Sportlichen Führung?

Um nach dem so knapp verpassten Aufstieg wieder eine positive Stimmung zu erzeugen, haben wir vor der Saison gezielt einen neuen Ansatz gewählt. Unser neuer Sportlicher Leiter Lutz Siebrecht bringt eine hohe Begeisterungsfähigkeit mit. Trainer Ramon Gehrmann ist nach außen etwas mehr der analytische Typ und kann Spieler weiterentwickeln. Beide arbeiten sehr gut und eng zusammen, haben klare Vorstellungen, was sie erreichen wollen, mit welcher Spielweise und mit welchen Spielern.

Sie spielen auf die stärkere regionale Verwurzelung der Spieler an?

Unter anderem, Siebrecht und Gehrmann haben in der Region ein sehr gutes Netzwerk. Doch wir haben ja auch den Spielstil verändert, spielen offensiver, mit mehr Varianten – und wecken dadurch wieder mehr Emotionen.

Vor allem dank Mijo Tunjic. Befürchten Sie, dass Ihnen Ihr Top-Torjäger in der Winterpause weggekauft wird?

Es ist wirklich überragend, was ihm in der aktuellen Phase der Saison alles gelingt. Nein, Mijo weiß, was er an den Stuttgarter Kickers hat. Zudem ist er unverkäuflich.

Dafür sollten die Kickers aber aufsteigen. Wäre denn eine dritte Oberligasaison überhaupt zu stemmen?

Das wäre eine Frage der Ansprüche und Ambitionen und der Gewinnung der Mittel hierfür. Diesmal haben wir einen Etat zusammengestellt, der wahrscheinlich unter den Top 3 der Liga liegt (Anm. d. Red.: rund eine Million Euro).

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Also steht in dieser Saison viel auf dem Spiel. Wird personell nachgelegt in der Winterpause, eventuell mit dem Ulmer Stürmer David Braig?

Wir warten die nächsten zwei Spiele ab, dann setzen wir uns zusammen und treffen dann Entscheidungen.

Machen die Hauptsponsoren Porsche und MHP ihr finanzielles Engagement über die Saison hinaus vom Aufstieg abhängig?

Mit Porsche haben wir einen Dreijahresvertrag, der läuft noch zweieinhalb Jahre.

Der mit MHP läuft aber aus.

Mit MHP sind wir im ständigen Austausch. Der Hauptsponsor begleitet unsere positive Entwicklung sehr eng.

Wie kritisch und angespannt ist die finanzielle Lage im Verein?

Was die wirtschaftliche Konsolidierung anbetrifft, sind wir deutlich weiter gekommen. Seit längerem haben wir wieder ein operativ positives Ergebnis, das wir auf der Mitgliederversammlung vermelden können.

Dennoch muss – wie es heißt – erneut ein Jahresfehlbetrag ausgewiesen werden. Wie passt das zusammen?

Operativ sind wir mit rund 150 000 Euro positiv, haben aber Abschreibungen in Höhe von 360 000 Euro, davon sind allein 330 000 Euro auf Spielerwerte. Das ist ein rein bilanzielles Bereinigen als weitere Folge der bereits im letzten Jahr vorgenommenen Auflösung der Stuttgarter Kickers Beteiligungsgesellschaft. Künftig fallen solche Effekte weg.

Wie sehr ist der Status Nachwuchsleistungszentrum in Gefahr?

Dessen Beibehaltung hängt vom sportlichen Erfolg ab, wenn wir mit der ersten Mannschaft nicht aufsteigen sollten, muss die U-19- oder U-17-Mannschaft in der Bundesliga spielen. Aber: Ob mit oder ohne Status – wir legen immer einen großen Fokus auf unsere Jugend und somit auf eine gute Jugendarbeit. Klar ist, dass die Anforderungen an die Verein durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) immer größer werden.

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Zum Beispiel darf der NLZ-Leiter künftig nicht gleichzeitig die U19 trainieren.

Ja, zum Beispiel. Solche Vorgaben machen es für die kleineren Vereine natürlich nicht einfacher.

Ist die Einführung einer zweiten Mannschaft wieder ein Thema?

Aktuell nicht, perspektivisch gesehen, wäre es wünschenswert.

Und eine Ausgliederung...

...ergibt in der Oberliga keinen Sinn.

Vor der Saison wurde kommuniziert, dass die ehemaligen Spieler Josip Landeka und Ralf Vollmer als Berater hinzukommen. Besteht diese Vereinbarung nur auf dem Papier?

Keinesfalls. Mit Josip bin ich selbst regelmäßig in engem Austausch, zu Ralf hat vor allem Lutz Siebrecht engeren Kontakt. Ich selbst möchte ihn zudem zu Ralf intensivieren.

Wird es ein Trainingslager im Winter geben?

Das ist nicht geplant.

Was wünschen Sie sich bis zur Mitgliederversammlung 2020?

Jeder würde gerne hören Wiederaufstieg, das ist natürlich das Ziel, aber kein Selbstläufer.

Und von den Finanzen bekommen Sie keine Albträume?

Wie gesagt: Die Blauen schreiben erstmals wieder schwarze Zahlen. Das ist belegbar und das ist ein positiver Effekt. Im Kern bleibt es natürlich weiterhin eine Riesenherausforderung, eine vernünftige Finanzierungsstruktur hinzubekommen, weiter Verbindlichkeiten abzubauen und gleichzeitig einen vernünftigen Etat aufzustellen. Und dieser Aufgabe stellen wir uns!