Wie aus dem Nichts stellen sich in der Nacht zum Sonntag mehrere Hundert Menschen gegen die Polizei. Das Ausmaß ist neu. Mit ähnlichen Attacken hatte die Polizei in jüngster Zeit häufiger zu tun.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Polizei hat es in Stuttgart offenbar mit einem neuen Phänomen zu tun: In den zurückliegenden Wochen haben sich immer wieder Gruppen gegen die Einsatzkräfte solidarisiert, aus unterschiedlichen Gründen. Der Höhepunkt waren die Ausschreitungen in der Nacht zum Sonntag. Doch auch davor war es zu ähnlichen Attacken gekommen.

 

Die bis dato heftigste Nacht hatte die Polizei in diesem Jahr am letzten Maiwochenende erlebt – kurz nach dem Ende der ganz strengen Corona-Beschränkungen. Das Leben im öffentlichen Raum begann wieder, die Vorsicht der Feiernden in der Samstagnacht ließ bei sommerlich-lauen Temperaturen nach. So hatte es die Polizei gleich zweimal in einer Nacht mit großen Menschenmengen zu tun, die gegen sie vorgingen. Gegen Mitternacht am 30. Mai wollte die Polizei die zum Schutz vor Corona-Infektionen noch geltenden Abstandsregeln auf dem Schlossplatz durchsetzen. Im Bereich der großen Treppe zum Kleinen Schlossplatz saßen die Nachtschwärmer viel zu eng. Die Polizei wandte sich mit Lautsprecherdurchsagen an sie.

Die Feiernden zeigten keine Einsicht. Im Gegenteil: Aus der Menge flogen Flaschen gegen die Polizei, Fahrzeuge wurden getroffen. Die Einsatzkräfte mussten Verstärkung holen. Mehr als ein Dutzend Streifenwagenbesatzungen, Beamte der Sicherheitskonzeption Stuttgart und Hundeführer räumten den Kleinen Schlossplatz. Mit Durchsagen und Appellen kam die Polizei nicht gegen die Menge an. Nur zwei Stunden später sahen sich Beamte in der gleichen Nacht einer ähnlichen Situation gegenüber. Ein Mann hatte behauptet, er sei von einem Messerstecher angegriffen worden. Als die Polizei am vermeintlichen Tatort an der Ecke Büchsenstraße/Theodor-Heuss-Straße eintraf, stellte sich heraus, dass das nicht stimmte. Der junge Mann hatte sich einen üblen Scherz erlaubt. Als die Polizei wegen der Vortäuschung einer Straftat seine Personalien aufnehmen wollte, wehrte sich der Mann heftig und wurde aggressiv. Die Polizei brachte ihn zu Boden. Das sahen die Umstehenden und stellten sich gegen die Einsatzkräfte.

Auch hier mussten etliche Beamte zur Unterstützung anrücken, damit die Lage sich beruhigte. Mehr als 30 Streifenwagen waren vor Ort. Hier wurde ein Zusammenhang mit den Reaktionen auf die Proteste gegen die Polizeigewalt in den USA nach dem Tod des dunkelhäutigen George Floyd vermutet. Der 18-jährige Tatverdächtige ist Spanier und hat leicht dunkle Haut, die Polizei sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Das Wochenende gipfelte in einem weiteren Einsatz, der eigentlich Routine hätte sein können, bei dem aufgrund der massiven Gegenwehr aber ein großes Polizeiaufgebot nötig war. Am Sonntag galt es, eine Streiterei vor einem Lokal zu schlichten. Auch hier mussten etliche Streifenwagen zur Unterstützung kommen.

Bis zu 30 Streifenwagen im Einsatz

Mit einem ähnlichen Phänomen hatte es die Bundespolizei mehrfach nach den Ereignissen in den USA zu tun: Bei Festnahmen am Stuttgarter Hauptbahnhof wurden auch ihre Einsatzkräfte mit Rassismusvorwürfen beschimpft. Am 6. Juni geschah das, als ein nigerianischer Mann wegen Schwarzfahrens vorläufig festgenommen wurde. Am Mittwoch davor wurde die Bundespolizei beschimpft, als sie vor dem Reisezentrum einen randalierenden Betrunkenen, der aus Kamerun stammte, festnahm und aufs Revier brachte.

Auch schon vor der Corona-Zeit und vor den Anfeindungen gegen die Polizei im Zusammenhang mit dem Tod von George Floyd in Amerika kam es im vergangenen Herbst zu einem Zwischenfall. Am letzten Wochenende im September 2019 war in der Nacht zum Sonntag ein Mann im Schlossgarten angegriffen worden. Beim Polizeieinsatz danach stellten sich rund 20 Menschen gegen die Beamten.