Jim Knopf musste bei seinen Abenteuern gegen Scheinriesen und böse Drachen kämpfen. Über der heilen Welt Lummerlands brauen sich dunkle Wolken zusammen. Betonieren Schulbücher Rassismus?

Stuttgart - Es geht um eine Insel mit zwei Bergen, um ein angespültes, schwarzes Baby, und einen Lokführer und böse Drachen. Und nach 60 Jahren auch ein wenig um die Frage, inwieweit Kinderliteratur rassistische Klischees verbreiten kann. In diesem Jahr wird die berühmte Abenteuergeschichte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ 60 Jahre alt. Das Buch von Michael Ende hat Millionen Kindern Freude bereitet - Kritiker bemängeln aber die mitunter stereotype Darstellung des kleinen afrikanischen Jungen Jim. Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hält indes überhaupt nichts davon, Schulbücher rückwirkend umzuschreiben.

 

Eine Kita-Leiterin aus Hamburg hatte in einem Interview der „Zeit“ bemängelt, wie die Geschichte um den dunkelhäutigen Jim Knopf in vielen Kitas noch unkritisch gelesen werde. Die Geschichte reproduziere viele Klischees zum angeblich typischen Wesen und Äußeren von Schwarzen. Vor allem die Passage, in der Jim als „Neger“ bezeichnet wird, ist umstritten. Der Verlag will das heute für schwarze Menschen als rassistisch geltende Wort vorerst erhalten.

Wie würde man Jim Knopf heute aufschreiben?

Immer wieder kochen Diskussionen hoch um offensichtlichen oder unterschwelligen Rassismus in Kinderbüchern. Jim Knopf ist nicht das einzige Beispiel. Astrid Lindgren bezeichnete den Vater von Pipi Langstrumpf zunächst als den „Negerkönig aus Taka-Tuka-Land“, in einer neueren Fassung wurde er zum „Südseekönig“.

„Das sind Diskussionen, die für mich total skurril sind“, sagt Kultusministerin Eisenmann der Deutschen Presse-Agentur. Man könne nicht im Nachhinein Dinge korrigieren, die vor 100 oder 200 Jahren entstanden seien und aus der heutigen Sicht nicht dem Zeitgeist entsprächen. „Das sind schöne Geschichten, bei denen sich die Autoren - aus ihrer Zeit herauskommend - über gewisse Aspekte vielleicht gar keine Gedanken gemacht haben“, sagt sie.

Besonders Kinderbücher könnten rassistische Vorstellungen in der Gesellschaft zementieren, warnt Professor Heidrun Kämper vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Welche Rolle spielt die Figur des Schwarzen? Warum ist das vor 60 Jahren so aufgeschrieben worden? Wie würde man Jim Knopf heute aufschreiben? Kindern mit zehn oder zwölf Jahren könne man solche Themen bereits vermitteln, sagt Kämper. Ohne eine solche Einordnung setze sich das Unterbewusstsein weiter fest, dass Menschen nicht gleichwertig seien.

Fußnoten für Umgang in der Grundschule ungeeignet

Die Sprachwissenschaftlerin Kämper plädiert nicht fürs Umschreiben, aber für Fußnoten, Einschübe und Kommentierungen. „Wenn wir davon ausgehen könnten, dass ein allgemeines Bewusstsein in der Gesellschaft vorhanden ist, dass ein Buch wie Jim Knopf rassistische Elemente enthält, dann könnten wir das auch Lehrern und Eltern überlassen“, sagte sie. „Aber können wir leider nicht.“ Es werde noch dauern, bis das Thema in den Köpfen in der Breite angekommen ist.

Riem Spielhaus will die alte Fassung von Jim Knopf so nicht ihren Kindern vorlesen. „Einer Fünfjährigen zu erklären, warum das N-Wort schwierig ist, fand ich als Mutter herausfordernd.“ Sie leitet die Abteilung „Wissen im Umbruch“ am Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. Fußnoten seien für den Umgang in der Grundschule ungeeignet, sagt sie. Sie könne nicht nachvollziehen, wenn Kinderbücher zu geradezu heiligen Texten erklärt würden. „Das ist doch nicht die Bibel. Das ist doch nicht in Stein gemeißelt“ sagt Spielhaus zum Buch von Michael Ende. „Literatur ist dafür da, immer wieder neu verstanden und interpretiert und im Kontext der Zeit gedeutet zu werden.“

„Man kann es so oder so lesen“, sagt Spielhaus zu Jim Knopf. Michael Ende habe eigentlich ein dezidiert anti-rassistisches Buch geschrieben. So gehe es in dem Buch etwa den Halbdrachen Nepomuk, halb Drache, halb Nilpferd, der wegen seiner mangelnden Reinrassigkeit ausgegrenzt wird. Ende lege es geradezu drauf an, dass man über Rassismus diskutiere. Für Eisenmanns Position hat Spielhaus daher wenig Verständnis. „Ich würde mich freuen, wenn eine Bildungsministerin eine solche Debatte dankbar aufgreift.“

Kultusministerium lasse Lehrer beim Thema Rassismus allein

Natürlich müssten bestimmte Geschichten eingeordnet werden, aber das würden Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte oder die Eltern auch tun, sagt Eisenmann. Aber: „Ich hätte überhaupt kein Verständnis dafür, wenn man jetzt anfinge, Grimms Märchen umzuschreiben.“ Die CDU-Politikerin will Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Frühjahr 2021 aus dem Amt jagen. Der hatte sich kürzlich erst über Sprachpolizisten und „Tugendterror“ echauffiert.

Das Kultusministerium lasse die Lehrer beim Thema Rassismus zu sehr allein, kritisiert die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doro Moritz. Rassismus müsse insgesamt viel stärker im Unterrichtsalltag thematisiert werden - in allen Fächern, sagt Moritz. Es gebe aber keine Lehrerfortbildungen und zu wenig Begleitmaterialien in dem Bereich. Die Lehrergewerkschaft fordert ein Fach Ethik für die Grundschule, um sich mit dem Thema tiefer zu beschäftigen. Man dürfe traditionelle Kinderbücher nicht einfach aus der Schule entfernen. Man müsse sich mit ihnen auseinandersetzen.