Neigt sich die Ära der Zigarette ihrem Ende zu? In der Gesundheitsdebatte hat sie jene gesellschaftlichen Bedeutung verloren, die sie sich über Jahre im Alltag von Millionen Menschen erobert hatte. Heute rauchen immer weniger Leute, vor allem immer weniger junge.

Stuttgart - In Deutschland gibt es sie seit 1862. Bis 1914 verlief ihr Aufstieg mit 15 Prozent Absatzplus pro Jahr märchenhaft. Geschlechterübergreifend eroberte die handliche, preiswerte Raucherware alle Gesellschaftsschichten. Sie war Mittel der Selbstdarstellung und Kontaktanbahnung, sie beschrieb das moderne Lebensgefühl, das von Nervosität ebenso geprägt war wie von Weltoffenheit. Ihre bunten Schachteln pflanzten zauberhafte Bildwelten in die Köpfe: Orientbasare, mondäne Rennbahnszenen oder wappenstarrende Adelsnamen – sage und schreibe 9000 verschiedene Marken bedienten die Sehnsüchte der Zeit.

 

Mit Kriegsausbruch wurde sie zum Propagandainstrument. Eine Kultmarke wie Gibson Girl“ hieß plötzlich „Wimpel“. Es folgte ihre Bewährungsprobe: als der letzte, schwache Notnagel in „Stahlgewittern“, unverzichtbar als Währung, als Freundschaftsgeste und letzte Gabe für sterbende Kameraden – selbst dann noch, als ihre Qualität gegen Kriegsende so miserabel geworden war, dass ihr bis zu 85 Prozent Buchenlaub beigemischt wurden.

Solche Geschichten erzählt die Zigarette schon lange nicht mehr. Ihr Rückzug aus dem öffentlichen Leben setzte spätestens Anfang der siebziger Jahre ein, als das Werbefernsehen keine Spots mehr brachte und das tobende HB-Männchen dem Alltagsbewusstsein entglitt. Seither ist ihre öffentliche Präsenz immer schwächer geworden. Sie zu empfehlen ist in Deutschland heute nur noch per Plakatanschlag erlaubt. Dafür haben Zahl und Intensität der Warnhinweise in den Medien als auch auf den Packungen selbst kontinuierlich zugenommen – bis hin zu den jetzt vorgeschriebenen Schockbildern.

Vom „sozialen Vergnügen“ zum Ausschlusskriterium

Noch 1967 konnte ein Werbefachmann guten Gewissens behaupten, die Zigarette sei ein „soziales Vergnügen“. Heute ist sie als Medium der Kontaktaufnahme diskreditiert, kennzeichnet die Vor-die-Tür-Gesetzten. Auch die einstige Markenvielfalt der 1960er Jahre, als jeder x-beliebige Tabakladen noch gut 150 Sorten vorhielt und die Industrie Jahr für Jahr mindestens 20 Versuche von Neueinführungen wagte, ist Geschichte.

Konzentrationsprozesse in der Branche haben dazu geführt, dass einst so mächtige deutsche Hersteller wie Reemtsma oder Haus Neuerburg in internationalen Konzernen aufgegangen sind. Der nachhaltigste Einschnitt geschah 2006 mit der Durchsetzung des gesetzlichen Rauchverbots in Gaststätten und öffentlichen Räumen. Als sich 2007 der Verband der deutschen Zigarettenhersteller auflöste, war auch deren Lobbyarbeit beendet. In den Jahrzehnten zuvor hatte er es verstanden, die politischen Entscheidungsträger in ihrer Gesundheitsfürsorge durch litaneihaft vorgetragene Hinweise auf ausbleibende Steuermillionen auszubremsen. Seitdem geht es mit den Absatzahlen steil bergab.

Übermächtig ist heute das Gesundheitsargument. Das deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat mehr als 5300 gesundheitsgefährdende Stoffe im Zigarettenrauch ausfindig gemacht. Dabei hatte es viele Jahre gebraucht, bis der Kausalzusammenhang zwischen Rauchen und Atemwegserkrankungen allgemeine Anerkennung gefunden hatte. Als der von US-Präsident Kennedy initiierte Terry-Report in großen Reihenuntersuchungen diese Tatsache 1964 erhärtete, reagierte die bundesdeutsche Öffentlichkeit nur mit einer kurzen Schockstarre. Schon wenige Wochen später stieg der Pro-Kopf-Verbrauch von Zigaretten an und erreichte 1981 mit knapp 130 Milliarden Stück seine Höchstmarke.

Die Industrie beschwor das Selbstbestimmungstrecht

Erst die in den 80er Jahren einsetzende Diskussion um das Passivrauchen kehrte den Trend um. Jetzt sah sich die Industrie herausgefordert, mit Imagebroschüren, in denen das Selbstbestimmungsrecht der Raucher beschworen wurde, dagegenzuhalten – und natürlich die Entwicklung neuer, immer leichterer und weniger schädlicher Marken voranzutreiben. Zum wirksamsten Argument für ihre vermeintliche Harmlosigkeit gehörte natürlich die Erfindung des Filters. Schon 1958 überholten damit bestückte die Strangzigaretten.

Noch ist nicht ausgemacht, was an ihre Stelle treten wird. Allein die Zigarettenpause war ja nicht nur ein Name, sondern eine Institution, die den Alltag von Millionen Menschen strukturierte. Das Smartphone mag zwar Nervosität kompensieren, ein soziales Vergnügen ist es aber nicht.