Der deutsche Astraunaut Alexander Gerst ist auf der ISS angekommen und wurde von seinen Mitreisenden herzlich empfangen. Doch wie es mit der Raumfahrt in Europa weitergeht, ist völlig offen, beklagt StZ-Redakteurin Anja Tröster.

Stuttgart - Nichts verkörpert das Gefühl des Aufbruchs mehr als eine Rakete, die donnernd ins All startet. Um die Kraft dieses Symbols wissen auch die Raumfahrtagenturen. Sie wissen, dass sie dem Steuerzahler eine Show schuldig sind. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) inszeniert den Start des deutschen Astronauten Alexander Gerst deshalb so aufwendig wie sonst nur die politischen Parteien Triumphe bei Wahlen. Das multimediale Feuerwerk wird mit der Ankunft des Astronauten auf der Raumstation nicht enden. Er wird bloggen, twittern und sich beim Außeneinsatz filmen lassen.

 

Gerst fällt das leicht, denn für den 38-Jährigen aus Künzelsau erfüllt sich ein Kindheitstraum. Und nichts ist gewinnender als das Leuchten in den Augen eines Menschen, der seinen Traum lebt. Die Leidenschaft von Gerst ist auch mitreißend, weil er seinen Zuschauern das Gefühl gibt, er sei kein überirdischer Held, sondern einer aus ihren Reihen. Er wirkt wie der Junge von nebenan, befriedigt aber auch die Sehnsucht nach einem unerschrockenen Entdecker ferner Welten. Alexander Gerst war eine perfekte Wahl für die Rolle des Botschafters im All. Gut möglich, dass sich deshalb eines Tages auch sein allergrößter Traum erfüllt – der, Teil einer bemannten Mission zum Mars zu sein.

Keine Einigkeit bei der Esa

Ein wenig von all den Tugenden, die der jüngste deutsche Astronaut aller Zeiten verkörpert, täte allerdings auch den Entscheidern am Boden gut – Johann-Dietrich Wörner an der Spitze des DLR ausgenommen. Bei den Mitgliedstaaten der europäischen Weltraumagentur Esa herrscht nämlich keineswegs die Einigkeit, die man hinter dem Gemeinschaftsprojekt gern vermutet. Nationale Interessen verhindern oft genug eine Lösung, die für die Gemeinschaft sinnvoll ist. Und das wird nicht besser werden, wenn auch die Europäische Union auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon für sich beansprucht, künftig in Sachen Raumfahrt ein Wörtchen mitzureden. In welcher Weise EU und Esa sich miteinander arrangieren, ist noch völlig offen.

Wie lähmend die europäische Mischung aus politischen Querelen, nationaler Eigennützigkeit und Sparpolitik hinter den Kulissen ist, zeigt sich auch daran, dass bislang auffallend wenig darüber gesprochen wird, wie eine bemannte Präsenz im All in der Zukunft aussehen könnte. Gemessen an den Zeiträumen, in denen die Raumfahrtbranche plant, wäre es höchste Zeit, über ein Nachfolgeprojekt der Internationalen Raumstation ISS nachzudenken. Schließlich ist es gut möglich, dass nicht nur die Russen aussteigen, sondern auch die Amerikaner. Beide könnten künftige Missionen zu Mars oder Mond gut alleine stemmen. Und beiden steht anscheinend der Sinn nach solchen Alleingängen.

Die Nasa stellt eigene Interessen über Treue zu Partnern

Der Nasa-Chef Charles Bolden ist zwar vergangene Woche nach Berlin gekommen, um zu betonen, wie wichtig für ihn die Partnerschaft mit den Europäern und insbesondere mit den Deutschen ist. Am Beispiel des fliegenden Teleskops Sofia zeigt sich aber, dass die US-Behörde gegenwärtig eigene Interessen über die Treue zu Partnern stellt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, muss sich die Esa grundsätzliche Fragen stellen. Will sie sich überhaupt weiterhin an der bemannten Raumfahrt beteiligen, ob in Form einer Station im Orbit oder einer interplanetaren Mission?

In Deutschland wird diese Frage angesichts der Wucht der aktuellen Bilder zurzeit wahrscheinlich mehr denn je bejaht. Schwieriger zu beantworten ist, welche Partner in einem solchen Szenario für die Europäer übrig bleiben: Japan? China? Eine der aufstrebenden Raumfahrtnationen Indien, Korea oder Brasilien? Für Antworten auf diese Fragen braucht es eine langfristige Strategie, die sowohl den Standort sichert als auch aus Gemeinschaftsperspektive Sinn ergibt. Jetzt ist die Zeit, das zu ändern. Der Schub wäre da.